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Linie Mittel- und Südeuropa ergriffen und geformt wurden, gingen von der
Altzeit der Erdgeschichte, dem Paläozoikum, bis zur Neuzeit, dem Tertiär,
über unseren Erdteil hinweg. In diesen Gebieten der jüngsten Faltungen und
Hebungen ragen zwar die tertiären Kettengebirge als scheinbar unüberwindliches
Hindernis zu Hochgebirgshöhe empor und umspannen zum Teil ältere
Rumpfschollen; sie werden aber doch auch an manchen Stellen durch Senkungsfelder
und Verwerfungslinien durchlöchert und zerlegt. Einmuldungen vor
der Front der Kettengebirge, Lückenbildungen im Gebirgsgürtel durch teilweises
Zerbrechen und Versinken vor und in den Gebirgen schufen größere oder
kleinere Senkungslandschaften, die sich zu wichtigen menschlichen Lebensräumen
oder zu bedeutenden Völkerwegen entwickelten. Völkertore, wie das gewaltige
uralokaspische, durch das asiatische Horden sich zu allen Zeiten nach Europa
hinein ergossen, oder das adriatische, das hunnischen und germanischen Völkerzügen
den Weg an die dalmatinisch-istrische Küste und ins Poland öffnete,
Völkerpforten, wie die Mährische Pforte zwischen Sudeten und Karpaten
und die Burgundische Pforte zwischen Jura und Vogesen, Grabenversenkungen,
wie Rhone-, Rhein- und Leinegraben, schufen neben den Wegweisern der
Strom- und Flußwege die besten, natürlichen Vorbedingungen für Völkerzüge
und Handelsstraßen. Eine Überschreitung der europäischen Hauptwasserscheide
ist so in der Richtung von Nord nach Süd, wie von Ost nach West leicht
möglich, und selbst das höchste europäische Faltengebirge, das Alpengebirge,
ist durch breite Längs- und Quertäler und eine Anzahl nicht allzu schwieriger
Pässe erschlossen. So trägt unser Erdteil dank der Beschaffenheit seines Baues
den Charakter eines Durchgangslandes, das gerade auch der Völker- und
Rassenvermischung besonderen Vorschub geleistet hat.
Das Rheinknie bei Basel und die ihm vorgelagerte Senke der Burgundischen
Pforte zwischen Jura und Vogesen spielen nun im Völkerleben Mittel-, Süd-
und Westeuropas als Kreuzungspunkt wichtiger nord-südlicher und ost-west-
licher Wege eine ganz besondere Rolle. Seit alters ist die strategisch hochbedeutsame
Burgundische Pforte das Verbindungstor zwischen Mittel- und Südeuropa,
durch das die mittelmeerischen Pflanzen und Tiere nach Deutschland einwanderten
), und das die Völker benutzten. Hier konnten das atlantische und
das mittlere Europa mit dem mediterranen im Tiefland der Garonne und
der Rhone in engste Berührung kommen. Durch diese Tieflandzone geht der
bequemste Zugang von der Nordsee zum Mittelmeer. Hier nimmt die Mittel-
meerlanidschaft nur allmählich kontinentale Züge an. Auch noch nördlich von
Lyon, an der Saöne, bleibt das weinreiche Land bis zur Burgundischen Pforte,
ja bis in die jenseits gelegene Oberrheinische Tiefebene hinein sommerheiß. An
dieser Stelle griffen das Römerreich und später das Romanentum über das
Mittelmeer hinaus bis in das Stromgebiet des Rheines und damit der Nordsee
vor. Von» der alten Griechenkolonie Massilia mit einem der besten Häfen des
Mittelmeergebietes, aus der römischen Gallia narbonensis nordwärts, Rhone,
Saone, Doubs aufwärts, gelangten die Römerheere auf diesem äußerst bequemen
Weg unmittelbar, ohne Überschreitung hoher Gebirge sowohl ins Seinebecken,
wie an den Ober- und Mittelrhein und ins Donaugebiet. Von Italien gab es etwa
bis zum Jahre 50 n. Chr. nur eine militärisch wirklich vollwertige Anmarschstraße
an den Rhein, nämlich diejenige von Südfrankreich über Lyon und
Besancon zur Burgundischen Pforte und ins Rheinbecken nördlich Basel. Es ist
der Weg, auf dem seinerzeit Caesar ins Elsaß kam. Diese Verbindung hatte
für das Römische Reich nur den einen Fehler, daß die Burgundische Pforte
den Umweg um Jura und Alpen herum wies, daß sie nicht direkt an einen
Alpenpaß heranführte. Während der großen Völkerwanderung war dann die
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