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Das Markgräflerland: Beiträge zu seiner Geschichte und Kultur
32.1970, Heft 1.1970
Seite: 50
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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/mgl-1970-01/0054
zeigte uns die Turmtreppe, deren Stufen aus Dreieckbalken bestanden; eine seltene
Sache. „Schade", sagte er dann, „daß man hier vorm Altar auf den schönen alten
Grabsteinen rumtappt." Dann ging er mit uns hinab in die Krypta, wo seine Kartoffeln
lagen. In den Nischen des Gewölbes sahen wir Bilder von Heiligen. Bei
einem erkannte man noch unten ein Säulein. Als wir wieder drüben in unsern
beschnottenen Bänken saßen, erzählte uns dieser prächtige Lehrer: „Wißt ihr auch,
warum in dieser Kirche alles so bedeutungsvoll ist? Man baute damals nach Maßen
des menschlichen Körpers. Daher Fuß, Elle, Klafter undsoweiter. Außerdem wurde
einem solchen Bau manche Symbolik zugrunde gelegt, zum Beispiel die der Zahl.
Sie ist uns heute nicht mehr geläufig, höchstens in Siebensachen oder Sieben Tagen.
Die Kirche stand früher auf zwei mal fünf, gleich zehn Jochen. Zehn ist die Zahl
des Gesetzes wie in den Zehn Geboten. So könnte ich noch vieles darüber sagen.
Jetzt seht euch aber drüben das Stiighiisli an. Das ist doch barbarisch, daß man
diesen scheußlichen Holzturm an die alte Kirche angeklammert hat."

Das Stiighiisli (Steighäuslein)? Wir Buben liebten es doch aus besonderen Gründen
! In dem schmalen vierstöckigen Bau wurden früher die Feuerwehrschläuche
getrocknet. Jetzt stand der jugendstilverzierte hohe Schopf leer, und wir kletterten
und geißten darin herum in manchem Wettstreit, wer am schnellsten hinaufsteigen
und droben einen Stein am weitesten bohlen (werfen) kann. Manchmal schlieften
wir auch oben durch ein Loch in den Dachboden der Kirche, gumpten (hüpften)
vorsichtig von Balken zu Balken — sonst wären wir wohl durch die morsche
Decke gebrochen — und stiegen auf den Kirchturm, um dort wilde Tauben zu
fangen. Einmal war ich hinter dem Holzgitter des Markgrafenstuhls ein angstvoller
Zeuge eines merkwürdigen Vorgangs. Hier drinnen saß ich manchmal ganz
allein in der Totenstille der verlassenen Kirche; hier konnte ich ungestört phantasieren
, weswegen ich daheim stets ausgelacht wurde: hier rief keine Mutter:
„Könnsch emol uf der Bühne sufer mache!"; hier las ich auch, was kein Mensch
wissen sollte, denn bei der traurigen Geschichte von Romeo und Julia auf dem
Dorfe durfte niemand meine Tränen sehen. So saß ich wieder einmal, als es im
Stiighiisli wisperte. Jemand kletterte nach oben, trampte (tappte) vorsichtig über
die Balken, Gump (Hops) auf Gump und kam die Treppe herab. Zwei, drei
ältere Buben — ich kann vor Herzklopfen kaum atmen — schleichen subtil daher,
grobein (kriechen) ins Gehäuse der alten Silbermann-Orgel hinein, kommen mit
einigen kleineren Pfeifen heraus und verschwinden so schnell, wie sie kamen. Wie
ich bald darauf erfuhr, wurden diese Orgelpfeifen zu Bleisoldaten umgegossen.
Eine römische Wasserleitung, die im Keller des alten Schlosses lag, soll einen
ähnlichen Umwandlungsprozeß durchgemacht haben. Heiliger Unverstand! Was
wußten diese Burschen von Rom und Silbermann? Daß die Orgel von ihm stammte,
ahnte damals übrigens auch noch kein Mensch.

Jetzt hatte August Seyfarth übers Stiighiisli geschimpft, und das gab uns zu
denken. Wir wollten dem Lehrer unsere Zuneigung beweisen und trafen uns hee-
linge (heimlich) bei dem Turmbau an der Kirche. Den Dolfeli hatten wir als Wache
ans Eck gestellt. Während Fritz, Max und Willi mit Beilen die Bretter lockerten,
stiegen der Ludi und der Gärtner-Bertel hinauf. Der Sume-Ottl warf ihnen ein
Seil zu, das oben an einem Balken festgemacht wurde. Derweil hämmerten (hämmerten
) der Walter und ich mit Pickeln am Fundament herum. Die Kräftigsten,
der Geuße-Pauli, der Brandi, der Güntert-Ernsti und der Othmi packten jetzt
das Seil und zogen: „Hau ruck! Ho, Holz her!" Bretter splitterten ab und
dätschten (platschten) herunter, Balken giigsten (schrill tönen) und ächzten, und
die Bruchbudi kam ins Wackeln. Da steht plötzlich August Seyfarth unter der
Haustür und sieht, was er angerichtet hat. Er schimpft gottslästerlich, daß uns
Hören und Sehen vergeht. Aber meint er's wirklich ernst? Wir sehen, wie er das
Lachen verdrückt. Kleinlaut ziehen wir ab. Seitdem schwankte das Stiighiisli,
wenn wir ihm einen Stumb (Stoß) gaben, und wir hatten noch eine Weile unsern
Spaß daran, mit Ziehen und Schürken (Schieben) die Balken gahren (knarren) zu

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