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sätze besaßen, sondern auch in Gemäßheit derselben zu sprechen und zu handeln
gewohnt waren, während die Staatsanwälte über ihre politischen Grundsätze unter
einander uneinig und weit entfernt waren, ihre Rede- und Handlungsweise mit
denselben in Übereinstimmung zu bringen. Augenscheinlich war auf Seiten der Angeschuldigten
weit mehr Talent, weit mehr Rednergabe und weit mehr Energie,
als auf Seiten der Staatsanwälte. Namentlich entwickelte L. Brentano ein ausgezeichnetes
polemisches Talent, während Struve mit Nachdruck das Verderbniß der
bestehenden Ordnung der Dinge angriff, und die Grundzüge einer neuen, besseren
Ordnung der Dinge entwickelte. Blind schilderte mit wahrer Meisterhaftigkeit den
geheimen Bund der Fürsten und wies nach, daß der Widerstand der Völker gegen
denselben vollkommen gerechtfertigt sei.
In seiner Verteidigungsrede führte Struve aus, daß, was er gethan, gerechtfertigt
sei durch die drei Jahrzehnte lang fortgesetzte Untergrabung der verfassungsmäßigen
Zustände in Deutschland; durch den unerhörten Druck, mit welchem das
Volk belastet worden war; durch den Willen des Volkes; durch den Zustand der
Nothwehr, in welchem die republikanische Partei in Folge der Maßregeln der Regierung
versetzt worden war, und durch die reinsten Absichten, die Liebe zum
Vaterlande, zur Freiheit und zum Rechte, welche ihn bei allen seinen Bestrebungen
geleitet haben.
Blind führte in seiner Verteidigungsrede aus, 1) daß ein Hochverrathsprozeß
jetzt durchaus unstatthaft sei, indem weder unparteiische Justizbeamte, noch überhaupt
Gesetze vorhanden seien, nach welchen derselbe entschieden werden könne;
2) führte er vortrefflich aus, daß der September-Aufstand des Volkes eine Handlung
der Nothwehr gegen ein großes monarchisches Complott war. Brentano ver-
theidigte in seiner Rede Struve hauptsächlich gegen die Verleumdungen, deren Zielscheibe
er während der Zeit seiner Gefangenschaft gewesen war, und las zu diesem
Behufe mehrere Stellen aus Struve's Werken vor. Er widerlegte darauf die Anklage
Satz für Satz und schloß seine Rede mit den Worten: »Die Angeklagten sind
nicht schuldig!« unter einem kaum zu stillenden Beifallssturme.
Die Vertheidigungsreden hatten augenscheinlich einen den Angeschuldigten
höchst günstigen Eindruck auf die Geschworenen und das Publikum überhaupt
gemacht. Um dies zu verwischen und Zeit zur Bearbeitung der Geschworenen zu
gewinnen, wurde die Sitzung auf 23 Stunden vertagt. Die Fragen, welche an die
Geschworenen gerichtet wurden, waren für die Angeschuldigten durchaus ungünstig
gestellt, indem durch dieselben der Thatbestand des angeschuldigten Verbrechens
nicht zusammengefaßt, sondern in einer Reihe von untergeordneten That-
sachen zerstückelt wurde. Dessen ungeachtet beantworteten die Geschworenen zwölf
von den sechszehn, auf Struve bezügliche Fragen mit »Nein«, während sie keine
einzige der vier übrigen Fragen unbeschränkt mit »Ja« beantworteten. Auf diesen
Wahrspruch der Geschworenen hätte Struve nothwendig freigesprochen werden
müssen, derselbe wurde daher von dem Gerichte nicht angenommen, worauf die
Geschworenen die Zusätze »mit mildernden Umständen« und »ohne Vorbedacht«,
welche sie ihren vier bejahenden Antworten hinzugefügt hatten, zurücknahmen.
Mit Hülfe aller der bezeichneten und mancher nicht nachweisbaren geheimen
Kunstgriffe setzte zwar die Regierung durch, daß Struve und Blind wegen Versuchs
des Hochverraths jeder zu einer in Einzelhaft zu erstehenden Gefängnisstrafe
von 5 Jahren 2 Monaten verurtheilt wurde. Allein die öffentliche Meinung war
entschieden auf die Seite der Angeschuldigten übergetreten, und die badische Regierung
sollte bald erfahren, daß es gewagt sei, mit dieser in offenen Kampf zu
treten. Die Regierung wagte es jetzt nicht mehr, die Anklagen gegen Frau Struve
und deren Bruder Pedro Dusar fortzusetzen. Beide wurden bald darauf ihrer
Haft entlassen, während die gegen sie eingeleiteten Untersuchungen niedergeschlagen
wurden.
Die Niederlage, welche die badische Regierung in dem Prozesse gegen Struve
und Blind erlitt, war groß. Allein größer war diejenige, welche ihr in dem Prozesse
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