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Das Markgräflerland: Beiträge zu seiner Geschichte und Kultur
36.1974, Heft 1/2.1974
Seite: 87
(PDF, 24 MB)
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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/mgl-1974-01-02/0089
Hätte die kindliche Bitte (anstelle Johann Peter Hebel) dem Basler Dichter
Hermann Schneider gegolten, er würde ihnen eine seiner vielen alemannischen
oder hochdeutschen Geschichten „verzehlt" haben. Auch seine Geschichten, alle sie
„spielen" in unserer heimatlichen und geborgenen Welt. Viele, just die aus dem
schönen, mit einem „Helgen" von Nikolaus Stöckin gezierten „Basler Geschickte"
am Münsterplatz oben, wo noch Buben „gluggerle" und ein gelber Postwagen mit
einem Gaul geduldig wartet. Und gewiß nicht zufällig! Hermann Schneider
entstammt väterlicherseits der auch bei uns in Lörrach heimischen Schneider-
Familie. Er wuchs in Kleinbasel auf, ging da zur Schule und studierte in den
zwanziger Jahren in Basel, wo wir selbander noch manche der großen „Basler
Gelehrten" hörten. Schon früh fiel er da durch seine eigenen Geschichten und
Mundart-Spiele auf, die im Basler „Quodlibet" (einer literarischen Gesellschaft für
die Basler Mundart) aufgeführt wurden. Die Liebe und das Ohr für die besonderen
Klänge seiner Muttersprache, die Mundart und für den alemannischen Laut- und
Wort-Klang ist ihm zeitlebens geblieben! Aber auch das innere Ohr für die
„Sache-n änedra", wie sie unser Hebel so einfach aber treffend nennt! Nach
seinen Lehr- (und Wander-)Jahren z.T. im Zigeunerwagen ist er in Riehen — ob
dem eigentlichen Dorf! — ansässig und heimisch geworden. Von seinem Arbeitsplatz
in der Stube aus (zuletzt zog er sich in sein Refugium vor den Stimmen
der Umwelt ganz in die Stille zurück) sah er über die „regio", d. h. über die
Schlote und Hochhäuser der Basler Industriestadt und die angrenzenden Teile des
Markgräflerlandes bis zum Isteiner Klotz und hinüber ins Elsaß in die Berge der
Vogesen. Aber nicht nur der Blick über die geographischen und politischen Grenzen
hinweg, die ja auch durch den „Regio"-Gedanken überschritten und überwunden
werden (sollen), ging weit über die Stadt hinaus ins Land „änedra"! Aus dem
Jenseits der Stadt-Grenze und Grenzen wuchs in ihm mit jedem Jahr mehr der
Gedanke ans Land änedra im Sinn des Jenseits der kleinen alltäglichen Welt! Er
ist recht eigentlich zum Wanderer (und Beobachter) zwischen zwei Welten geworden
! Ja, ich möchte ihn schlicht den Dichter vom „Änedra" nennen!

So sehr und so fest seine Geschichten mit seiner Heimatstadt verbunden sind, mit
der „Glaine Welt" (wie sie auch ein Theobald Baerward besingt und beschreibt),
so bleibt das alles nur der zwar unverwechselbare Rahmen für seine Geschichten!
Den eigentlichen „Schauplatz" verlegt er immer wieder aus der sichtbaren Welt in
die andere, nur dem Auge des Dichters sichtbare, „sichtige" und „richtige" Welt!
Dieses Leben zwischen den „zwei Welten" macht auch eine Standort-Bestimmung
des Dichters so ungeheuer schwer! Er selber gibt uns aber seine Hinweise in den
Dichtungen (zuletzt in dem autobiographischen Büchlein, aber auch vielfach anderweitig
!) den Orten nachzuspüren und sie zu finden! Aber letztlich hält er auch
diese Angaben doch immer noch von einem geheimen Rätsel umhüllt! So enthebt
er keinen von uns der Pflicht, ihm in seinen Dichtungen in das Land der Geheimnisse
und Rätsel: in das „Märchenland", oder in das Land „Änedra" zu folgen!
Damit mag es wohl auch zusammenhängen, daß er zwar als Dialektdichter bekannt
und anerkannt worden ist und schon früh hochgeschätzt worden ist, daß aber die
dichterische Bedeutung seines Schaffens im Ganzen nicht Platz und Rang in der
Literatur der Gegenwart gefunden hat! Er ist für die einen zu sehr „Heimat-
Dichter" — der er wohl auch war und zwar im besten und höchsten Sinne des
Wortes — geblieben, doch ohne das rechte Verständnis für das Besondere und
Eigene auch in seiner Mundart-Dichtung! Für die andern, die moderne, zeitgemäße
Gegenwartsliteratur suchen, ist er weder in der Schweiz noch bei uns in
Deutschland je als Dichter, höchstens als Schriftsteller beachtet und geachtet
worden.

Doch läßt sich sein Schaffen nicht in die zwei Gebiete: Dialekt-Schrifttum und
allgemeine deutsche Literatur aufteilen! In den Dialektgeschichten wie in seiner
hochdeutschen Prosa — die Lyrik spielt bei ihm überhaupt keine Rolle! — überall
ist sein unermüdlich in die Tiefe dringender Geist am Werke! Darum verzichten

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