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uns allen bekannten „Langen Erlen", die Wiese mit der „Mannelotschi" (dem
alten Schwimm- und Badeplatz), die Wegli und Pfädli links und rechts, die wir
alle kennen von klein auf! Auch hier spinnt und webt er wieder seine goldenen
Fäden in das Gewebe der heimischen kleinbasler Landschaft und läßt Kindheitsund
Jugenderinnerungen aufklingen!
In seinen 12 Geschichten durches Jahre „Das Wenkenroß", die er im Auftrag
der Gemeinde Riehen anläßlich des Jubiläums „Riehen — 450 Jahre Zugehörigkeit
zu Basel" schrieb, spinnt er das Garn weiter! Auch hier sind Dichtung und Wahrheit
abermals bunt gemischt und ineinander verwoben zu Geschichten wie die aus
Hebels „Schatzkästlein", da sind harmlose und weniger harmlose, ja sogar fantastische
und moderne wie just die vom „Wenkenroß", auf dem zwei Kinder beim
Gewitter auf dem Mond reiten und Hebels Mann im Mond einen kleinen Besuch
machen (aber ohne „Weltraumfahrzeug" u. a. moderne Hilfsmittel). Hier wagt
sich Schneider ins Hochdeutsche wie schon Hebel, wenn er „bloß" erzählt! (Die
Frage, warum auch Hebel, Gotthelf, Burte und alle andern alemannischen Dichter
in ihren Erzählungen die alemannische Mundart gemieden haben, harrt noch
immer der Beantwortung und Begründung! Dieser Frage wich auch Hermann
Schneider gern aus!)
In seinem Rückblick auf sein Leben und Schaffen „Kirschen aus Nachbars
Garten" oder „Tage um die Siebzig" läßt er seine Leser immer wieder vom hier
zum dort, vom Diesseits zum „Änedra" durchblicken. Auf die Frage: wo sind die
„Kirschen", wo steht des Nachbars Garten? antwortet er geheimnisvoll wie auf
die Frage nach dem Nachbarn selber! Ein (von den meisten Lesern kaum beachtetes
) Akrostichon (die Anfangsbuchstaben der Kapitel zu einem Spruch zusammengesetzt
) lautet „soli Deo gloria" ! das Bekenntnis der alten Meister und Joh. Seb.
Bachs Schlußpunkt seiner großen Werke! Was bedeutet das Wort aber hier, so
versteckt und erst ganz am Ende seines Lebens, in dem er auch seinen Freunden
gegenüber Stillschweigen bewahren wollte? Grübeln wir darum darüber nicht
weiter nach, aber nehmen wir dieses fromme Bekenntnis zu dem Vater aller Dinge,
alles Lebens und aller Kunst! Der Dichter sagt und bestätigt uns damit auch, daß
wir ihn recht verstehen, wenn wir in ihm den Dichter sehen, der selber die Dinge
dieser Welt als Sinnbilder sieht.
„Der Mann mit dem Hifthorn", ein seltsamer Titel: nach einer Sandsteinplastik
(über der Galluspforte des Basler Münsters)! Wer ist der Mann mit dem
Hifthorn, der seltsame „Jäger", der zum großen Welten- und Zeitenrad gehört?
(Seinen Verfassernamen deutet er zu Beginn des Buches (ebenfalls verschlüsselt:
-n -r ((Endbuchstaben seines Namens: Hermann Schneider)) nur an, quasi stellvertretend
)! Aber durch alle „Variationen" hören wir doch die Lebens-Melodie, den
cantus firmus, das Änedra wieder hindurchklingen! Bedeutungsvoll und wegweisend
mag dem Leser dieser Zeilen auch die Widmung sein, die der Dichter mir
bei einem seiner letzten Besuche in das Buch schrieb:
„Das Leben kennt erst,
wer das Bild des andern gesehen hat!"
So können und dürfen wir auch sein „ad usum delphini" verstehen! „zum
Gebrauch des Delphins". Der Delphin seit dem Altertum Symbol der Weisheit in
Fischgestalt? — Aber beschreibt er nicht gerade in diesem Buch einen Mikrokosmos
wie das „Grasbüschel vom Rheinbord" und wie das kleine Aquarell Albrecht
Dürers, wo sich das Große und Größte im Kleinen spiegelt? Die Welt gleichsam in
einer „Invention" J. S. Bachs? Leider war es ihm nicht mehr vergönnt, sein OPUS
MAGNUM, seinen über 1500 Seiten großen Roman, zu vollenden, an dem er
über 15 Jahre unermüdlich gearbeitet hatte, immer wieder feilend und bessernd,
zuerst schwungvoll, später aber langsam und bedächtig: nulla dies sine linea =
kein Tag ohne eine Zeile! Auch hier weist schon der Titel in die Richtung des
S4
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