http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/mgl-1974-01-02/0115
rebengesegneten Markgrafschaft hüten, bei jedem Besuche das vorgesetzte Krüglein
zu leeren. Kaum war man ins Haus getreten, so wurden in der Regel Kander-
ner Brezeln, ein gefüllter Weinkrug und Gläser aufgetischt. Als ich in der Markgrafschaft
praktizierte, mag dort in den Reborten mehr Wein als Wasser getrunken
worden sein.«
Hat sich vieles seither geändert? Der Wein ist besser geworden. Die Gastfreiheit
ist geblieben. Ob die Markgräfler auch besser geworden sind, wage ich nicht
zu beurteilen. Hermann Burte schrieb schon vor 50 Jahren: »Der charaktervolle
Typus stirbt aus und auf seinem Grabe thront europäische Konfektion. Niemand
und nichts kann diesen Untergang aufhalten: Kein Verein zur Erhaltung von
Trachten, Sitten und Gebräuchen.«
Es ist so. Vieles ist tot und nicht mehr zu beleben. Wäre die Tracht nicht schon
fast ganz verschwunden, so stünden heute hier vorne mindestens ein Dutzend
Markgräflerinnen in der Hörnerkappe oder in der Vrenelihaube. Das Fasnachtfeuer
lodert noch, in manchem Dorf gehen auch Hisgier und Uffertbrütli durch die
Straßen. Und den Markgräfler gibt es auch noch in seiner ruhigen, etwas wortkargen
Art, besonnen, dreimal überlegend, ehe er sich entscheidet, offen für den
als gut erkannten Fortschritt, offen auch dem Fremden gegenüber, sofern dieser
nicht auf hohem Roß daherkommt und einer der wortreichen Neunmalklugen ist.
Eines ist gewiß, die Markgräfler werden Markgräfler bleiben, auch wenn der
alte Typus ausstirbt und wenn der Name ihres Landstrichs in der Bezeichnung
des neuen Landkreises nicht zu finden ist.
In einem alemannischen Gedicht von Burte lesen wir: »Wenn d'Nacht verwacht
im Land am Oberrhy, Se stöhnde uffem blaue Gwölb drei Schii.« Diese
drei Scheine kommen von den Städten Basel, Mülhausen und Freiburg. Sie weisen
nicht nur auf die geographische, politische und wirtschaftliche Lage des Mark-
gräflerlandes hin. Sie weisen auch auf die starken geistigen und kulturellen Wechselbeziehungen
über den Rhein herüber und hinüber hin. Angesichts der drei
Scheine, die »heimlig uf ys inewirke«, stellt Burte die Frage: »Lieb Haimetland
am Rhy, wie find i Dyne?« Also, wie finde ich deinen Schein? Eine prophetische
Frage, die uns hier in der Mitte des Markgräflerlandes heute als höchst aktuell
zur Beantwortung und Lösung gestellt ist. Doch wir wollen uns an diesem Festtag
mit der Antwort begnügen, die Burte auf die Frage »Lieb Haimetland am Rhy.
wie find i Dyne?« so gibt:
»Leng Wy, schenk ii, do singt e Melodie,
Wo d'Sunne lacht und liebi Stärne schyne,
I will in Dir mit mir im Reine sy!«
Sind wir mit unserem Markgräflerland im reinen? »Wir wissen alle«, so
schrieb Burte 1923, »wie unfaßlich der Volksgeist ist; er erlischt unter plumpen
Händen, wie das Licht des Glühwurms. Wir wissen, daß ein Aufsatz über eine
schöne Sitte ihr Aussterben nicht hindert und ihre Übung nicht ersetzt. Wir wissen
, daß wir auf Trümmern bauen und unser Werk ein Stückwerk bleibt. Aber
auch Hebels unendlich zarter und kräftiger Genius stellte ein Sterbendes dar, ein
Idyll, das verschwand, sobald er es berufen hatte. Sein verklärtes Bild hängt in
der Luft und leuchtet. Seine bescheidenen Schüler wollen wir sein und ihn ehren,
indem wir eigene Wege gehen, wie er sie ging. Wir sind und geben Kunde von
denen, die waren, für die, welche kommen.«
Unser Fest wird zeigen, ob wir mit unserem Markgräflerland, mit uns selber
und mit unseren Gästen aus nah und fern im »reine« sind.
Im Blick auf unsere Stadt und auf mich selbst möchte ich zum Schluß ein Wort
des Schweizer Dichters Conrad Ferdinand Meyer zitieren:
»Menschenstunde gleicht dem Augenblicke,
Städte haben längere Geschicke,
haben Genien, die mit ihnen leben
und in immer weitere Kreise schweben!«
113
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/mgl-1974-01-02/0115