http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/mgl-1974-03-04/0027
Majoliken sind ja bekannt; das für diese Industrie nötige Material ist gut und
reichlich in nächster Nähe von Kandern vorhanden. Hier ließen sich ganz andere
Ergebnisse erzielen, wenn die betreffenden Meister über eine wenn auch nur
bescheidene kunstgewerbliche Ausbildung verfügen würden, die sie zu selbständigen
Arbeiten befähigte. Des weiteren könnten vielleicht einige der jüngeren Meistersöhne
zu einem mehrwöchentlichen Übungskurse an der Kunstgewerbeschule beigezogen
werden. Zwei derselben haben sich zur eventuellen Theilnahme schon
jetzt bereit erklärt." M) Letztlich hat sich bis zur Auflösung der letzten Hafnerwerkstatt
Blum (1965) an der Struktur des alteingesessenen Handwerks nichts
geändert. Die Versuche der jüngeren Töpfer in Richtung Kunstkeramik blieben
vereinzelt und die spätere Entwicklung zum Kunsthandwerk, wohl an das alte
Handwerk anknüpfend, nahm einen anderen Weg. Ein Bericht aus dem Jahr 1895
macht die Haltung der Hafner deutlich:
„Merkwürdigerweise ist der Hauptindustriezweig Kanderns, die Töpferei, in
der Schule nicht vertreten und eingezogene Erkundigungen ergaben, daß es im
Augenblick weder einen Hafnerlehrling am Platz gibt, noch, daß in der nächsten
Zeit ein Meistersohn für die Schule in Betracht kommen kann. Bemerkenswert ist,
daß man dortselbst die Bemalung der Majoliken mehr in weibliche Hände zu
legen sucht, wie denn auch die Frau des Hafnermeisters Blum im vergangenen
Jahr zur Erlernung dieser Kunst einige Monate in einer schweizerischen keramischen
Fabrik zubrachte. Die unter Mitwirkung derselben bis jetzt gefertigten
Blumenvasen und Teller bekunden in Form und Farbengebung einen guten Geschmack
, wobei nur zu bedenken ist, daß die häuslichen Geschäfte eine umfangreichere
Produktion und damit die noch nötige Entwicklung zur Meisterschaft
verhindern. Wie es scheint, beabsichtigen noch andere Meister dem Beispiele Blums
zu folgen." M)
Während die bestehenden Hafnerwerkstätten in traditioneller Weise weiter betrieben
wurden, nämlich als reine Familienbetriebe mit wenigen fremden Angestellten
, bahnte sich in Kandern eine neue Entwicklung und Änderung des Handwerks
an. Bevor jedoch diese neue Entwicklung zum Kunsthandwerk in Kandern
aufgezeichnet wird, soll ein Überblick über die Lage der Hafner das Bild vom
traditionellen Handwerk in Kandern abschließen.
///. Die Lage der Hafner im 19. und 20. Jahrhundert in Kandern
Aufgrund der Unruhen der Revolutionsjahre von 1848/49 und durch die wachsende
Industrialisierung kam es in der Mitte des 19. Jahrhunderts zu einer Notlage
der Hafner in Kandern. Wie in anderen Hafnerorten machte sich auch hier durch
die Produktionssteigerung von Fayenceartikeln und Fabrikwaren ein Rückgang
des Verkaufs bemerkbar. Allerdings herrschte unter den Kanderner Hafnern niemals
ein wirtschaftlicher Notstand wie in anderen Hafnerorten. Sie waren integrierte
Bürger eines zwar kleinen, aber wirtschaftlich gesicherten Ortes. Die zahlreichen
Kleinbetriebe und Industrien gewährleisteten eine gesunde Finanzlage.
1838 wurde auf Verlangen des neu gegründeten Gewerbevereins eine Bezirksspar-
kassein Kandern eingerichtet. Die Handwerksbetriebe und Kleinindustrien waren
gerade in den 50 Jahren des letzten Jahrhunderts angewachsen und hatten eine
gewisse wirtschaftliche Blüte erlangt.
1859 zählte Kandern 1404 Einwohner. Zu dieser Zeit war der Ort ein Einkaufsmittelpunkt
für alle angrenzenden kleinen Dörfer, da fast jedes Handwerk
in Kandern vertreten war. Eine Aufstellung über Handwerksbetriebe und Kleinindustrien
um 1860 gibt über die wirtschaftlich wichtige Rolle der Kleinstadt Aufschluß
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10 Wirtschaften; 2 Bierbrauereien; Hüttenwerk; Hochöfen; Hammerschmiede;
Schlackenpoche; Steinhammer; Wollspinnerei Jakob Gerber (1858 gegründet);
Essig- und Branntweinbrennerei Johann, Ernst Grether (1840); Zeugschmied,
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