http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/mgl-1976-01-02/0053
bäuerlichen Untertanen nicht mehr möglich, bei der Ablieferung z. B. eines
Huhnes an ihre Herrschaft zu unterscheiden, ob es sich um ein „öffentlich-rechtlichbegründetes
Gerichtshuhn" handelte, (etwa ein sogenanntes Rauchhuhn) ein
„Grundherrenhuhn" (etwa ein Fastnachtshuhn) oder eine „Leibhenne" für den
Leibherrn4.
Für die Untertanen war in erster Linie die Abgabe an sich bedeutsam, nicht
die Begründung aus öffentlichem oder privatem Recht.
Herren und Untertanen sahen ihre Rechte, bzw. Verpflichtungen oft als Einheit
, als unzertrennliches Konglomerat an5. Erst bei den Regulierungsgesetzen im
19. Jahrhundert, als die bäuerlichen Rechtsverhältnisse neu festgesetzt wurden,
sollten die Herren die Herkunft der verschiedenen Berechtigungen genau nachweisen
. Dieser Nachweis war nicht bei allen Rechtstiteln möglich. Zu sehr waren
die Berechtigungen im Laufe der Jahrhunderte ineinander verzahnt worden6.
Eng ineinander verzahnt waren z. B. im Markgräflerland die Gerichtherrenrechte
, nachdem es dem Markgrafen von Baden gelungen war, die Leibherrschaft
über seine Untertanen de facto territorial zu begründen, nicht mehr personal, wie
nach altem Herkommen. Der Markgraf konnte durchsetzen, daß in den Orten,
in denen er die niedere Gerichtherrschaft ausübte, fast alle Dorfbürger gleichzeitig
als markgräflich-leibeigen galten. Es war kein persönlicher Akt mehr notwendig,
um die Leibeigenschaft zu begründen, sondern mit dem Erwerb des Bürgerrechtes
in einem markgräflich-badischen Ort war zuletzt automatisch die Leibherrschaft des
Markgrafen begründet7. Ebenso eng miteinander verzahnt wie Gerichtsherrschaft
und Leibherrschaft können die beiden Rechtsinstitutionen Gerichtsherrschaft
und Vogtherrschaft gelten 8.
2. Reformen von einer „gebundenen" zu einer „freien" Wirtschaftsführung
a) Ursaoben der „Bauernbefreiung"
Eine wichtige Ursache für die Reformen im bäuerlichen Lebensbereich war
sicherlich der immense Bevölkerungszuwachs am Ende des 18. und Anfang des
19. Jahrhunderts9. Dieser Bevölkerungszuwachs vergrößerte sowohl die Nachfrage
nach Agrargütern, als auch das Angebot an Arbeitskräften. Eine Folge
davon war: Die Löhne stagnierten oder sanken gar, die Agrarpreise stiegen
aufgrund der wachsenden Nachfrage. Die Schere zwischen Getreidepreisen und
Löhnen klaffte also immer weiter auseinander.
Diese wirtschaftliche Entwicklung weckte bei Gelehrten und Politikern ein
breites Interesse für die Landwirtschaft. In sogenannten „gehobenen Gesellschaftskreisen
" wurde häufig über Landwirtschaft diskutiert. Es galt geradezu als schick,
sich für die Landwirtschaft zu interessieren.
Kaiser Josef II. pflügte eigenhändig einen Acker, Marie-Antoinette molk Kühe
zum Zeitvertreib. Es blieb indessen nicht nur bei dieser gleichsam unverbindlichen
Sympathie höherer Kreise für die Landwirtschaft. Landwirtschaftliche Vereine
wurden gegründet. Sie propagierten eine neue Agrarwissenschaft, deren praktische
Erprobung in vielen Fällen indessen erst dann möglich wurde, wenn feudale
Strukturen und damit verschiedenartigste Rechts- und Wirtschaftsbindungen aufgehoben
wurden.
Die Reformmaßnahmen, die diese Verhältnisse zu Beginn des 19. Jahrhunderts
änderten, werden gemeinhin als Bauernbefreiung bezeichnet.
Dieser Terminus ist nicht unproblematisch. Er ist übrigens auch nicht historisch
richtig; im 19. Jahrhundert wurde von ,Grundentlastung', ,Ablösung' oder Regulierung
' gesprochen. Diese Regulierungsgesetze sollten eher einer Ertragssteigerung
im Sinne einer liberalen Wirtschaftspolitik dienen als einer „Befreiung der Bauern".
Die Reformer beabsichtigten weniger eine Umformung der Sozialstruktur der
51
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/mgl-1976-01-02/0053