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bedingten sich also gegenseitig und trugen dazu bei, die agrarischen Verhältnisse
zu bessern. Diese Verhältnisse stellten sich zu Beginn des 19. Jahrhunderts
folgendermaßen dar:
„Das kultivierte Land stand in keinem Verhältnis zur Bevölkerungszahl,
außerdem wirkte sich die geringe Wiesenfläche auf die Viehwirtschaft nachteilig
aus. Durch mangelnde Intensität der Bearbeitung und veraltete Methoden gewannen
die Menschen gerade das Notwendige zum Leben." 46
Folgende Maßnahmen verbesserten die Agrikultur in besonderer Weise:
Intensiver Anbau neuer Pflanzen; z.B. Kartoffeln47, Mais, Tabak, Zuckerrüben
48. Die sogenannte Drei-Felder-Wirtschaft wurde durch sogenannte Fruchtwechselwirtschaft
ersetzt; das heißt, der Anbau von Kornfrüchten wechselte in
einer Zeige mit dem Anbau von Blattfrüchten ab49; Brache war nicht mehr notwendig
. Durch diese Maßnahme wurde der Fruchtanbau mehr als bisher den
jeweiligen Gegebenheiten des Bodens angepaßt. Durch den Wegfall der Brache
wurde die gesamte Anbaufläche um etwa ein Drittel vergrößert.
Besser genutztes Weideland führte zu einer verbesserten Viehwirtschaft. Durch
die Möglichkeit der Stallfütterung im Winter mußte nicht mehr der größte Teil
des Viehs im Herbst verkauft, geschlachtet und eingepökelt werden. Der Viehbestand
vergrößerte sich 50.
Die Urbarmachung von bislang unbebautem Land vergrößerte die Agrar- und
Weidefläche und damit den Ertrag 51.
Nicht zuletzt vergrößerten neue Ackerbautechniken, wie z. B. tiefgehende
Pflüge, oder Be- und Entwässerungsanlagen den landwirtschaftlichen Ertrag zu
Beginn des 19. Jahrhundert.
5. Auswirkungen der Reformen auf die Agrarkonjunktur
Durch die genannten Maßnahmen steigerten sich die landwirtschaftlichen Erträge
in den 20er Jahren des 19. Jahrhunderts merklich. Die Ertragssteigerung
war in den Nachkriegsjahren nach 1813/14 zunächst mit einer erheblichen Preissteigerung
verbunden. Durch die Relation zwischen Angebot und Nachfrage erreichten
Agrarpreise 1817/18 einen Rekordstand, bedingt durch die allgemeine
schlechte Ernte 18 1 6 52.
Die Bauern konnten ihre — wenn auch teilweise geringe — Ernte zu sehr
hohen Preisen absetzen 5S. Diese günstige Preissituation verschlechterte sich schlagartig
, als in den Jahren 1818 bis 1830 durch günstige Witterung und durch die
Auswirkungen der Reformen die Ernteerträge sehr gut waren. Der Preis sank „ins
Bodenlose". Im Bodenseegebiet sank beispielsweise der Kernenpreis 1819 um
60 °/o, 1820 um weitere 30 °/o; der Gerstenpreis 1819 um 69,3 %>, 1820 um weitere
50%; der Haferpreis 1819 um 50 %>, 1820 um weitere 25 °/o 54. Aus dieser Entwicklung
folgt:
Trotz hoher Ernteerträge in den 20er Jahren des 19. Jahrhundert verkleinerte
sich das absolute Einkommen der Landwirte. Trotz des Überflusses hoher Ernteerträge
stiegen die Verschuldungen und Konkurse von Landwirten.
Diese Überproduktionskrise 55 der 20er Jahre des 19. Jahrhunderts erschütterte
die Landwirtschaft schwer. Sie muß auf dem Hintergrund der Reformen der
Genossenschafts- und Herrenrechte, der ersten Auswirkungen von neuer Agrartechnik
und Wissenschaft und dem immensen Bevölkerungszuwachs zu Beginn des
19. Jahrhunderts gesehen werden.
Diese Agrarkrise führte unmittelbar in die Problematik des Pauparismus, des
sogenannten Landproletariats im 19. Jahrhundert und in die Problem" des Arbc:t",-
marktcs. Die fercr~—i im bäuerlichen Lcbcneöcrcvrh zu Bc~irr. cec 19. Jahrhunderts
sind demnach nicht mehr isoliert agrarpolitisch zu interpretieren, sondern
sie können als wichtiger Bestandteil, vielleicht sogar mit als Voraussetzung
der industriellen Entwicklung in Deutschland gelten.
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