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Merz 1901 (also mein Geburtsjahr):
Montag, 4. Küfer Bär läßt die Fässer neuen Wein im neuen Keller ab. Die Lipburger
(wohl Tagelöhner, d. V.) arbeiten im Garten. Mathias und Fritz arbeiten wie
gewöhnlich am Montag nicht! Von Dr. Warth 17,1 ztr Heu bezogen a 4,50
M = 76,95 M
Dienstag, 5. Die Futterknechte mußten heute um '/*7 geweckt werden! Den Standpunkt
klar gemacht! Weber Ernst spaltet Holz. Von einem Elsäßer 31,74 ztr.
Weizen — Stroh gekauft, ä 3 M, Besuch von Frau Wechsler, sen.
Mittwoch, 6. Meines guten Mathias Friedrich Todestag. Begräbnis von Gottele Heidenreich
. Ich fuhr auf den Friedhof. Die Lipburger Männer verebnen den
Garten. Weber Ernst hilft den Schafstall misten. Mathias fährt den Dung
fort auf den Kirschbäumlebodenacker. Fritz hilft laden u. s. f.
Man kann aus diesen wenigen Notizen schon einiges entnehmen, obwohl die
Frickmühle ja kein typischer Bauernbetrieb war. Aber: Landwirtschaft war überall
, u. a. Pferdehaltung, denn ohne Pferde gab es keinen Verkehr außerhalb der
Staatsbahn, und so waren alle Sparten der Berufe, vom Kaufmann bis zum Arzt,
ja — bis zum Großherzog auf Pferde und damit auf Heu, Stroh und Hafer angewiesen
. So erklärt sich auch der relativ hohe Preis von M 3,— für Stroh und
M 4,50 für Heu, der heute auch in DM noch ähnlich ist. Relativiert kann das
aber anders aussehen: z. B. kostete damals 1/* Wein meist 15 Pfg., man konnte sich
also für 1 ztr Stroh 20 Viertele leisten, heute noch eines.
Oder: eine Fahrt Müllheim — Freiburg kostete damals III. Kl. M —,60 (IV. Kl.
gab es nur in Preußen!). Man konnte also für 1 ztr Stroh 5mal nach Fbg. fahren
und hatte etwas für sein Geld, denn es gab 14 Stationen. Heute reicht das Stroh
nur für eine Fahrt. Zum letzten: 1 Tag Vollpension in Badenweiler kostete damals
5 bis 6 Mark = 2 ztr Stroh. Heute würde das Stroh kaum zu einem
Frühstück reichen und nicht einmal in Badenweiler! Übrigens durfte ich als
1. Kläßler noch Spalier stehen für den alten Großherzog Friedrich I., als er mit
seiner Gemahlin Luise, von Badenweiler kommend, kurz in Mülle Station machte.
Uns Buben interessierten allerdings weniger die königlichen Hoheiten, die, schon
etwas zusammengedätscht müde in ihren Polstern ruhten, als vielmehr die bunt
gemusterten Lakaien auf dem Kutschbock mit ihren lackierten Zylindern und die
zierlichen Braunen, die dem Landauer vorgespannt waren und ungeduldig, im
Geschirr zerrend, auf die Weiterfahrt warteten, denn Bgm. Nikolaus, in Frack und
Zylinder ordentlich schwitzend, mußte ja erst seine Ansprache über die Runden
bringen.
Nun, die Abschweifung sei verziehen, aber auch großherzogliche Pferde mußten
Heu und Hafer haben und machten denselben Mist wie andere Rösser auch: damit
sei auch das Bubengeschäft erwähnt, das s. Zt. den Tag ausfüllte, das Einsammeln
von Roßbollen auf allen Straßen der Stadt und wehe, wenn man mit seinem
Leiterwägele einem anderen Interessenten ins Gehege kam! Erwähnt sei auch
das Fuhrgewerbe schlechthin, denn schließlich wurden ja fast alle Waren mit
Pferden transportiert. So bestimmte der Rhythmus von Mensch und Tier nicht
nur die Landwirtschaft allgemein, sondern auch viele Gewerbe in der Stadt. Erst
gegen Abend fuhren die Holzknechte mit ihren leeren Wagen — allerdings schwer
beladen mit Ketten, Krempen, Futtertrog und Heu — ins Gebirge, wo sie in den
Holzmacherhütten nach dem Füttern nächtigten, um bei Tagesgrauen mit dem
Laden zu beginnen. So konnten sie bis Mittag wieder an der Säge oder Eisenbahn
sein und über die heißeste Zeit ihre Tiere im Stall lassen. Nicht viel anders verhielt
es sich bei den Steinfuhrleuten, welche die handverladenen Blöcke aus den Schweig-
hofer Steinbrüchen an den Rhein brachten, wo die Dämme noch immer Material
brauchten. Waren die Sommer oft recht heiß, so gab es aber auch in Mülle kaum
einen Winter ohne Schnee! In allen Hohlwegen der Rebberge wurde gerodelt:
mittags die Schulkinder, abends die reifere Jugend und nachts die Ehepaare. Man
brauchte auch die kalten Winter, damit es Eis gab für die Bierablagen und Wirte.
Welch eine Lust aufs ,Ganters Hintern' (heute Schwimmbad) über die weite Fläche
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