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Hof auch einmal von dem einen oder andern blauer Montag gemacht wurde
(s. o.!), so lief der Betrieb trotzdem weiter. Ebenso — wie das auf meinem Hof
der Fall war — wenn ein Knecht regelmäßig am Monatsende seinen Lohn samt
der kleinen Rente auf den Kopf stellte und am anderen Tag unter den Haselhecken
seinen Rausch ausschlief, dann war das weiter nicht tragisch, ja, man hatte
das schon im Kalender vorgemerkt und in den Arbeitsablauf eingeplant. Aber
machen Sie so etwas heute einmal in dem ach so rationellen Ein-Mann-Betrieb?
Der alte Rhythmus von Tier und Mensch ist nun dem gleichmäßigen Rattern
der Maschinen gewichen. Gab es doch früher sogar Unterschiede beim Pflügen'
z. B., ob die Furche vom Hof weg zeigte oder zum Hof hin. Im ersten Fall brauchte
es gute Worte, und oft auch die Peitsche, um die Ochsen auf Trab zu bringen.
Ging es aber Richtung Stall, dann mußte man füßeln, daß man am Pflug blieb und
konnte die Peitsche getrost im Halter lassen. Bei der Ernte geht es nicht mehr so
sorgfältig zu wie in der Zeit der Handarbeit. Da ging der Bauer abends oder am
Sonntag zu seinen Kornfeldern hinaus und machte die Nagelprobe: ließ sich das
Korn noch über den Fingernagel biegen, dann war es zu früh für den Schnitt. Brach
es aber mitten durch, dann war die Zeit gekommen. Brach es gar nicht mehr und
war schon hart, dann war es höchste Zeit, wenn man keinen Ausfall riskieren
wollte. Heute muß man an die Ernte gehen, wann gerade der Mähdrescher
verfügbar ist, ohne Rücksicht auf Verluste. Das Dreschen war ja früher typische
Winterarbeit. Noch habe ich es im Ohr, wenn (vor dem 1. Krieg) bei Stiefvatters
im Gäßli im Winter tage- und wochenlang das Gepolter der Flegel zu hören war,
vom frühen Morgen bis zum späten Abend, nur durch die Mahlzeiten unterbrochen
. Die Frucht ließ man auf dem Stock ausschwitzen und brauchte keine
künstliche Trocknung. Sie hat bei guter Lagerung lange gehalten und nicht
„gnüechtelet"! Im Schwarzwald war man besonders heikel mit der Frucht. Natürlich
wurde alles von Hand gemäht (gegen das Stehende, umgekehrt wie beim
Gras), mit einem Fruchtbögle, damit die Halme nicht knickten. Auch das war
„Team-Arbeit", denn jeder Mähder brauchte ja eine Abnehmerin. Kam dann
schlechtes Wetter, dann mußten die „Legen" mit dem großen Holzrechen oder über
den „Arsch" mit dem Rechenstiel gewendet werden. Erst wenn die Halme schön
trocken waren, wurden sie mit der Sichel von den Frauen eingetragen und von den
Mannsvölkern gebunden. War der Garbenwagen an einem steilen Berghang geladen
, dann wurde ein Kind heimgeschickt, um die Uhren im Haus zu stellen. Erst
wenn der Wagen gut in die Hofeinfahrt gelangt war, fing die Zeit wieder an zu
laufen. Ein wahrhaft schöner Brauch, daß die Zeit den Atem anhalten muß, bis
das tägliche Brot geborgen ist.
Natürlich gab es im Schwarzwald auch schon Dreschmaschinen, ehe die allgemeine
Technisierung sich durchsetzte. Auf meinem früheren Hof im Dreisamtal
stand eine solche schon vor der Jahrhundertwende und wurde von einem Wasserrad
angetrieben. Aus vielen Ortschaften kamen damals die Bauern dorthin zum
Dreschen. Im 1. Krieg arbeitete ich einmal auf einem Gut von Prinz Max von
Baden während der Ernte und im öhmd. Da kam noch eine Lokomobile angefahren
samt Maschinist, und so wurde im Freien mit Hilfe russischer Gefangener
gedroschen. Das Schönste war natürlich, wenn die Lokomobile zum Feierabend
pfiff. Noch ahnte ich nicht, daß 10 Jahre später die Aufsattelung und Konstruktion
einer Heißdampf-Verbundlokomobile der Inhalt meiner Diplom-Arbeit sein
würde. Später setzte sich aber mein landwirtschaftliches Interesse wieder durch,
so daß ich mit Hebel sagen konnte: „Hab ich dazu Thau auf dem Belchen getrunken
und das Rauschen der sieben Buchen gehört, und den Räderschlag der
Utzenfelder Mühle? . . ." (aus einem Brief an Pfarrer Hitzig in Rötteln, 1811.)
Es liegt nahe, bei der Betrachtung des Korns auch auf die Müllerei und Bäckerei
einzugehen. Beides wurde ja im Schwarzwald, wo die arrondierten großen Höfe
(15 bis 30 ha) stehen, bis vor nicht langer Zeit noch autark betrieben, das Brotbacken
heute noch. Die Vielzahl der Brotsorten von heute deutet ja an, daß mit
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