http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/mgl-1976-01-02/0126
Ein „Schleipf" wird zum Wagen gezogen
Wie sehr die „Teile" schmal geworden sind, erlebte ich einmal in einem Dorf
am Belchen, als ich einem „Neubur" beim Heuen half. Er wußte noch nicht so
genau, wo seine Stücke lagen, wies mich aber den Marksteinen entsprechend ein.
Eine Frau aus dem Nachbarhaus sah mir interessiert zu, als ich zu mähen begann,
sagte aber nichts, nicht einmal das übliche „Haut's?" Als ich unten war beim
nächsten Stein, rief sie aber hinüber „He, Sie, Ma, Sie hen jetz aber s lätz Teil
abghaue, seil isch ünser!" Als ich mich entschuldigen wollte, meinte sie großherzig:
„He, s isch jetzt nit gar eso schlimm, mer hätt es morn sowieso abghaue!". Das ist
echte Schwarzwälder Gemütsart!
Im Bereich des hinteren Wiesentals — man spricht ja auch vom „Fabrikler-
Schwarzwald" — ist der Bauer, der ja zugleich einen Vollberuf in der Industrie
hat (Textil, Maschinenbau oder Bauhandwerk), tatsächlich zum Landschaftspfleger
geworden. Seinen Lebensunterhalt würde er auch ohne Landwirtschaft haben,
genau wie seine Berufskollegen in der Stadt. Aber da er eben von seinen Vorfahren
den kleinbäuerlichen Betrieb (meist zwischen 3 bis 5 ha) übernommen hat,
führt er ihn traditionsgemäß weiter, so gut er es in seiner Freizeit machen kann.
Da hier meist in Schicht gearbeitet wird, bedeutet es für ihn aber eine zusätzliche
Belastung und einen sehr langen Tag. Lediglich im Winter, wenn wochenlang das
Land unter der Schneedecke liegt, kann er ein wenig auf der „Chunscht" liegen
und ausruhen. Uberhaupt war hier früher bei den Wäldern so eine Art Winterschlaf
üblich, denn man machte nur das Notwendigste in Haus und Stall: Füttern,
Misten, Melken, Tränken, Futter rüsten, Holz spalten, dies aber meist vor dem
Winter, damit das Holz auch trocken war bis zum Verbrauch. Das Essen war bescheiden
, wenn man nicht viel arbeitete, und beim Ausruhen auf der Kunst erholte
man sich von der Mühsal des letzten Sommers und schöpfte neue Kraft für den
nächsten. Dann war man aber auch wieder so weit, daß man 14 und 16 Stunden
im Heuet an einem Tag arbeiten konnte.
Bis vor wenig Jahren, als noch die alte Generation, die ja auch in der Fabrik
gearbeitet hatte und nun Rente bezog, in Haus und Feld nach bestem Vermögen
mitgearbeitet hatte, war auch hier noch die Welt in Ordnung. Mit dem Aussterben
der vorigen Generation ändert sich aber das Bild zusehends. Man schränkt den
Betrieb ein, braucht weniger Wiesen und Weiden oder hört ganz auf mit der
Landwirtschaft. Da und dort sieht man jungen Wald heranwachsen, wo noch
vor wenigen Jahren geheuet wurde, man sieht auch „Kultursteppe", hauptsächlich
in der nächsten Umgebung der Kurorte und Fabrikstädtchen. Neuerdings werden
124
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/mgl-1976-01-02/0126