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Das Markgräflerland: Beiträge zu seiner Geschichte und Kultur
38.1976, Heft 3/4.1976
Seite: 202
(PDF, 38 MB)
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nicht heimatverbunden ist, nicht starr an Altem, Ehrwürdigem festhält, stellt sich
im allgemeinen leicht um, besonders die Mädchen, bevorteilt durch ihr spontanes,
intuitives Wahrnehmungs- und Anpassungsvermögen.

Also wird das Ostdeutsche in Westdeutschland mit der älteren Generation wohl
aussterben. Jetzt schon sind die Jüngeren in ihrer angeborenen Heimatsprache
nicht mehr sattelfest.

Was die westdeutschen Mundarten betrifft, so wurden sie trotz zahlenmäßiger
Überlegenheit durch die Flut des Fremdklingenden in ihren Grundfesten erschüttert
und durch das Abgelagerte mehr oder weniger beeinflußt, bzw. durchdrungen
. Der alte Begriff der strengen Dialektgeographie gerät ins Schwanken.
Neue Gliederungen und Gefüge sind entstanden. Selbst da, wo Flüchtlinge in die
Heimat ihrer Urahnen zurückkehrten, galt es Schwierigkeiten zu überbrücken, weil
sich infolge von Zeitabstand und Entfernung so manches ursprünglich Gleiche
anders entwickelt hatte oder gar Unbekanntes aufgekommen war.

Aus der Mischung von Binnendeutschen und Ostvertriebenen erwächst eigentlich
ein neues deutsches Volk, ein neuer deutscher Geist, eine erneuerte deutsche
Sprache, bedingt durch die Notwendigkeit einer raschen, hemmungslosen Verständigung
, die bei der veränderten sozialen Wirklichkeit am bequemsten auf der
Ebene der Hochsprache zustande kommt. Dies geschieht um so leichter, als die
Westdeutschen wie die Ostdeutschen schon lange zuvor die Schriftsprache in der
Schule gelernt und in ihren Ämtern gesprochen haben.

In ostdeutschen Gebieten begann übrigens die Auseinandersetzung mit der
Hochsprache bereits um die Jahrhundertwende. In Ost- und Westpreußen wurde
in den sozial gehobenen Schichten schon vor 1945 nicht mehr Platt gesprochen,
selbst nicht auf dem Lande, dies um so mehr, als die Kluft zwischen dem Niederdeutschen
und dem Hochdeutschen viel breiter klafft, als zwischen den oberdeutschen
Dialekten und der Amtssprache.

Also haben die neueingebürgerten Ostdeutschen im Westen dazu beigetragen,
das Neuhochdeutsche zu fördern und die Mundart, wenn auch unbewußt, zu
verdrängen. Wie dem auch sei, man hört in Westdeutschland heutzutage viel
mehr hochdeutsch sprechen als vor zwanzig Jahren, sowohl im Norden als auch
im Süden. Daher ist es für die Mundartforscher höchste Zeit, noch Erhebungen
vorzunehmen, bevor die Planierramme alles Urwüchsige, Eigentümliche, Hervorstechende
geebnet hat. In zwanzig Jahren dürfte es zu spät sein.

Die fortschreitende Planierung vollzieht sich vor allem in den größeren
Städten, wo sich die verschiedenen Mundartschattierungen der aus allen Himmelsrichtungen
herbeiströmenden Landleute im täglichen Umgang wie die sozialen
Unterschiede allmählich verwischen und eine neue Gesamttönung ergeben, die der
Urmundart der betreffenden Stadt sehr nahe steht, für ein feines ortskundiges
Ohr sich jedoch davon unterscheiden läßt. Das Bayerisch, das heute in München
gesprochen wird, klingt für einen Fremden ziemlich homogen; der eingeborene
Münchner aber unterscheidet in der Masse der Einwohner des neuen Groß-
München mühelos den echten, uransässigen Stadtgenossen von dem Hinzugezogenen
. Gleiches gilt für die übrigen westdeutschen Städte, im Süden wie im
Norden, in Stuttgart und Saarbrücken, Nürnberg und Frankfurt, Köln und
Düsseldorf, Hannover und Hamburg. Es entstehen sogenannte regionalgefärbte
städtische Verkehrsmundarten, die man „Stadtmundarten" nennt. Durch die vielen
auf dem Lande wohnenden Schüler und Werktätigen, die sich täglich in die jeweiligen
Städte begeben, greifen die neuentstandenen Halbmundarten immer schneller
um sich, dehnen sich immer mehr aus und entwickeln allmählich landschaftliche
Umgangssprachen. Bald wird es ein bayrisches und ein schwäbisches Hochdeutsch
geben, so auch ein pfälzisches, ein rheinländisches und ein niedersächsisches.

Selbst in Österreich und in der Schweiz, die doch sehr konservativ eingestellt
sind, bilden sich neuere Umgangssprachen, die nicht mehr so markant „oberdeutsch
" klingen als früher, namentlich in den Hauptstädten Wien, Zürich und
Bern.

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