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Das Markgräflerland: Beiträge zu seiner Geschichte und Kultur
38.1976, Heft 3/4.1976
Seite: 205
(PDF, 38 MB)
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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/mgl-1976-03-04/0023
latein 4). Die Leute, die sie sprachen, wußten natürlich nicht, daß sie „Altfranzösisch
" oder „Altprovenzalisch" redeten, sondern waren mit guten Gründen überzeugt
, dasselbe Latein zu reden, das sie von ihren Eltern und Großeltern gehört
und gelernt hatten, die Begriffe „Altfranzösisch" und „Altprovenzalisch" haben
ihre Berechtigung nur aus unserer heutigen Sicht.

Es gibt also keinen Unterbruch zwischen Latein und Französisch — obschon
Cäsar und ein heutiger französischer Diplomat nicht miteinander reden könnten —,
so wie es tausend Jahre früher keinen Unterbruch zwischen dem Latein und der
davorliegenden jungsteinzeitlichen Sprache der späteren Latiner gegeben hat. Das
Französische geht genau so wie das Deutsche oder das Russische oder jede beliebige
Sprache in ungebrochenem Zusammenhang auf die Ursprünge der Menschheit
zurück 5).

Nun ist es bedauerlich, aber verständlich, daß man die ersten sprachlichen
Äußerungen der Menschheit nicht kennt. Es liegen viele Jahrtausende rein mündlichen
Sprachgeschehens vor den ersten schriftlichen Aufzeichnungen — so wie auch
heute der mündliche Verkehr den schriftlichen tausendfach übertrifft.

Die Sprachwissenschaft hat jedoch versucht, selbst über die frühesten Schriftdenkmäler
hinauszukommen, um sich ein Bild von den davorliegenden Sprachzuständen
zu machen, und dabei geht sie in dreifacher Weise vor:

1. Sie legt auf einem willkürlich gewählten Punkt der Zeitachse einen Querschnitt
durch eine Sprache und beschreibt diesen Querschnitt als das zu diesem Zeitpunkt
gültige System. Diese sogenannte synchronische Sprachwissenschaft untersucht
also beispielsweise die deutsche Sprache des Jahres 1976 oder die Sprache
des jungen Goethe in den Sesenheimer Liedern oder die Sprache der Lutherschen
Bibelübersetzung oder die Sprache der Minnesänger. Schon die beiden letzten Beispiele
zeigen, daß der Schnitt durch die Zeitachse nicht — wie er im Idealfall
eigentlich müßte — unendlich dünn ist, sondern eine gewisse Tiefe haben kann,
so daß man eigentlich anstatt von Schnitten besser von blockähnlichen Segmenten
sprechen würde, innerhalb deren die gleichen Erscheinungen weithin gelten.

Die deutsche historische Linguistik hat grundsätzlich etwa folgende Blöcke
postuliert: Modernes Deutsch (ca. 1830 — Gegenwart), Neuhochdeutsch (ca.
1600—1830) Frühneuhochdeutsch (ca. 1350—1650), Mittelhochdeutsch (ca. 1100—
1350) Althochdeutsch (ca. 750—1100), Voralthochdeutsch oder „Westgermanisch"6)
(ca. 200—750), Ur- oder Gemeingermanisch (ca. 1000 v. Chr.—200 n. Chr.),
Indoeuropäisch oder Indogermanisch (ca. 3000 v. Chr.—1000 v. Chr.)7). Natürlich
sind die Ubergänge zwischen den einzelnen Blöcken fließend und die
Grenzen willkürlich gezogen, doch zeigt jede einzelne Sprachstufe gewisse charakteristische
Züge, die in ihrer Gesamtheit nur ihr zukommen und sie von den
andern unterscheiden, was die Einteilung bis zu einem gewissen Grad rechtfertigt
.

2. Sie untersucht die Sprache in ihrer kontinuierlichen Entwicklung. Die diachronische
Sprachwissenschaft folgt also der Zeitachse und stellt nicht das zu
einem bestimmten Zeitpunkt gültige System, sondern vor allem die Veränderungen
an bestimmten Punkten fest. Dabei findet sie Akzentverschiebungen
(Luther: die 'Obristen, heutige Radiosprecher: die Ob'risten, mhd. 'lebendec, nhd.
le'bendig), Lautveränderungen (mhd. münch, nhd. Mönch, mhd. muoter, nhd.
Mutter), Veränderungen der Wortbildung (mhd. funden, nhd. gefunden, mhd.
die man, nhd. die Männer), des Satzbaus (mhd. wiz alsam ein sne, nhd. weiß wie
der Schnee, mhd. ir roc was grüener varwe, nhd. die Farbe ihres Rockes war grün
oder sie trug einen grünen Rock), der Bedeutung (mhd. dierne „Jungfrau", nhd.
Dirne, mhd. bein „Knochen", nhd. Bein), des Wortschatzes (Luther Kriegsknecht,
nhd. Soldat, Luther Richthaus, nhd. Justizpalast) usw.

Jede einzelne der unter 1) angeführten Sprachstufen zeigt, wie gesagt, ganz
charakteristische Züge, die sie von jeder andern abheben. So unterscheidet sich etwa
die urgermanische Sprache von den übrigen indoeuropäischen Sprachen am auffälligsten
durch die sog. erste Lautverschiebung, in der neben andern die vorher

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