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Das Markgräflerland: Beiträge zu seiner Geschichte und Kultur
38.1976, Heft 3/4.1976
Seite: 210
(PDF, 38 MB)
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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/mgl-1976-03-04/0028
also eine oberdeutsche Schreibsprache in niederdeutschem Munde20); viele mittel-
und oberdeutsche Aussprachevarianten gelten als dialektal. Das Alemannische
hat — abgesehen von der Übermittlung gewisser Wörter, die jedoch das System
als ganzes nicht tangieren 21) — keinen Beitrag an die Ausbildung der modernen
Schriftsprache geleistet. So haben wir heute die Situation, daß gerade die „hochdeutschesten
" Sprachen Bairisch und besonders Alemannisch nebenabstehen und daß
ihnen die Bezeichnung „hochdeutsch" im landläufigen Sinn gar nicht mehr zukommt
. Denn „hochdeutsch" bedeutet heute die aus der Schriftsprache zurückgewonnene
Sprechweise 22), und der erste Bestandteil des Kompositums hat eindeutig
wertende Funktion bekommen: er bezeichnet nicht mehr eine geographische Gegebenheit
, sondern das höchste erreichbare Ideal deutscher Sprache. Von daher erklärt
sich denn auch die Bildung von Wörtern wie „Hochsprache" und „Hochlautung"
für das, was in andern Sprachen „Standard" genannt wird.

Bisher haben wir hauptsächlich von der Schriftsprache gesprochen und versucht
, Begriffe wie „Alemannisch", „Bairisch", „Fränkisch", „Hochdeutsch" usw.
voneinander abzuheben und aus Geschichte und Sprachgeschichte zu erklären. Dabei
haben wir festgestellt, daß das Wort „Hochdeutsch" verschiedene Bedeutungsverschiebungen
mitgemacht hat und heute — außer in der Zusammensetzung
„Althochdeutsch — das Alemannische ausschließt. Das Alemannische selber haben
wir bestimmt als eine der germanischen Stammessprachen, die den weitestgehenden
Anteil an der zweiten Lautverschiebung genommen haben. Man könnte hieraus
folgern, daß die Sprecher dieser Sprache besonders urwüchsige Germanen gewesen
sein müßten. Aber wieder ist das Gegenteil wahr. Wir haben schon eingangs festgehalten
, daß keine Sprache an ein bestimmtes Volkstum gebunden sei und daß zu
allen Zeiten einzelne Menschen und ganze Völker fremde Sprachen angenommen
haben. Etwas Ähnliches dürfte auch hier vor sich gegangen sein. Als der Stammesverband
der Alemannen 23), dessen Hauptteil wohl das alte Volk der Sueben
(Schwaben) ausmachte, den römischen Limes überschritten hatte, gelangte er nicht in
ein menschenleeres, von der ansässigen Bevölkerung verlassenes, sondern in ein
verhältnismäßig dichtbesiedeltes Land. Nach allgemeinen Vorstellungen fiel die
galloromanische Vorbevölkerung dem Schwert des Siegers zum Opfer oder geriet
in Sklaverei24). Nun lehren aber gerade die Ortsnamen der deutschen Schweiz,
daß vielerorts die romanische Sprache und folglich auch geschlossene Siedlungen
mit mehrheitlich gallorömischer Bevölkerung bis gegen das Ende des ersten Jahrtausends
fortbestanden, daß also Alemannen und Romanen offenbar jahrhundertelang
nebeneinander lebten 23). Die Germanisierung des Landes erfolgte nicht auf
einen Schlag, sondern in der Form allmählicher Assimilation — ein Prozeß, der
übrigens noch nicht abgeschlossen ist26). Es läßt sich nicht ausschließen, daß die
zweite Lautverschiebung, die sich ja von Süden aus verbreitet hat, auf den Einfluß
des gerade in Alemannien und Baiern starken nichtgermanischen Substrates
zurückzuführen sei 27).

Wie steht es nun aber mit dem modernen Alemannischen? Wir haben gehört,
daß es bei der Formung des Neuhochdeutschen kaum eine Rolle gespielt habe: Ist
es also einfach eine zu einer bestimmten Zeit stagnierte Mundart? Ist es in der
Tat, wie selbst Germanisten nicht ohne Rührung versichern, ein versteinertes Mittelhochdeutsch
, das noch heute genau so tönt wie seinerzeit das Nibelungenlied?

Hier ist vorerst zu sagen, daß der Begriff „Alemannisch" nirgends in Deutschland
die übergreifende Bedeutung entwickelt hat wie etwa in Frankreich oder
Spanien, wo er „Deutsch" schlechthin bezeichnet und wo Deutschland „Alemannien
" heißt. Ja man muß sogar einräumen, daß er außer in einem kleinen Gebiet
des badischen Oberlandes, wo er in der Nachfolge Hebels in verengernder Bedeutung
neu verwendet wird29), keinesorts volkstümlich ist. Es besteht heute
unter den Alemannen keinerlei Stammesbewußtsein mehr und nicht einmal mehr
das Bewußtsein, die gleiche Sprache zu reden. Außer in Grenzregionen herrscht
meistens krasse Unwissenheit über die andern und als Folge davon oft die Haltung
verfeindeter Brüder. Man unterscheidet sich nach der staatlichen Zugehörigkeit auch

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