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Das Markgräflerland: Beiträge zu seiner Geschichte und Kultur
38.1976, Heft 3/4.1976
Seite: 214
(PDF, 38 MB)
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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/mgl-1976-03-04/0032
Die verschiedenen Schreibungen des gleichen Worts mit 'i, 1, ii' zeigen, wie
Hebel in dem frühesten erhaltenen Gedicht um eine Lösung gerungen hat. Freilich
kompliziert sich die ganze Angelegenheit jedoch noch durch die Tatsache, daß er
aus Sorglosigkeit oft auch die Diphthonge /va/ und /Ya/ mit den einfachen Schriftzeichen
'u' und 'ü' wiedergibt:

yna/ muß, Zuspruch, tbuts, rueßig, Chue, Feldhut;

I Ya/ grün, Grüespo, aruhrt, bitrübti, rüeffe, brüelt, b'hüt49).

Es braucht weiter keine Worte, um darzutun, daß ein Nichtalemanne ratlos vor
dieser Graphie stehen muß und daß in der Tat eine kritische Ausgabe von Hebels
Gedichten zu den dringlichsten Desideraten der alemannischen Philologie gehört.

Wenn wir nun versuchen, die Ergebnisse dieser Abhandlung zusammenzufassen
, können wir festhalten:

Das Alemannische hat seine Wurzeln wie jede andere Sprache an den Ursprüngen
der Menschheit. Beim Einsetzen der schriftlichen Zeugnisse im 8. Jahrhundert
ist es die Sprache eines germanischen Stammes, aber ein großer Teil der
Sprecher bestand wohl aus assimilierten Kelten. Das Alemannische hat die zweite
Lautverschiebung am weitesten getrieben und ist nicht bei den Errungenschaften
des 8. Jahrhunderts stehengeblieben. Es ist auch kein stehengebliebenes Mittelhochdeutsch
— und keine Entartung des 'Hochdeutschen' — sondern eine von
Generation zu Generation weiterentwickelte Sprache, die den Anforderungen des
modernen Lebens vollauf gewachsen ist. So wie es von seinem Konsonantengerüst
her mit den vielen Affrikaten und Frikativen, worunter die Velare fkx] und [x]
besonders auffallen, einen eher rauhen und für fremde Ohren nicht unbedingt
anziehenden Klang hat, so zeigt es dagegen im Vokalismus eine unerwartete
Nuanciertheit und erscheint nun auf einmal als Sprache der Halbtöne und der
feinen Schattierungen 50).

Das waren nur einige Hinweise, die deutlich machen, daß sich die Alemannen —
abschätzigen Bemerkungen zum Trotz — ihres Dialektes nicht zu schämen
brauchen und allen Grund haben, ihn weiter zu pflegen, ja sogar von der Schule
vermehrte Aufmerksamkeit zu verlangen. Aber ebenso falsch wäre es, sich jeder
Neuerung etwa aus der Schriftsprache entgegenzustemmen und nur eine künstlich
archaisierende, einzig auf die Belange einer rückständigen Landwirtschaft zugeschnittene
Mundart als solche gelten zu lassen. Jede Sprache ist in ständigem
Wandel begriffen, und zu gewissen Zeiten vollziehen sich die Veränderungen
rascher als zu andern. Vielleicht wird unser Dialekt in wenigen Generationen
starke Wandlungen durchmachen — in letzter Konsequenz wäre es theoretisch
auch denkbar, daß er in einem nicht allzu fernen Zeitpunkt im Elsaß dem
Französischen, in Baden dem Hochdeutschen weichen müßte51). Gewiß erscheint
jedem, der seine Mundart liebt und dem sie geistige Heimat bedeutet, eine solche
Aussicht fast unfaßbar — und doch müßten wir uns in irgendeiner Weise damit
abfinden, vielleicht gerade im Gedenken an jenen Mann, dem es zwar gelungen
ist, unsere sonst so verachtete und lächerlich gemachte Sprache classisch zu machen,
und ihr eine solche Celebrität zu ersingen 52), der aber auch wie kein anderer die
Vergänglichkeit in allen irdischen Dingen gespürt hat: 'Chilchhof — hani verstände
, und — 'Nüt darf ewig Bstand ha'53).

Anmerkungen

(1) Für wichtige Anregungen danke ich meinen Kollegen Jürgen Pesot, Universite du
Quebec ä Rimouski, und John Reighard, Universite de Montreal.

(2) Auch der Hinweis auf ganze Völker, die aus irgendwelchen politischen Umständen
freiwillig oder gezwungen eine fremde Sprache angenommen haben — z. B. die
Kelten in den Gebieten des heutigen Frankreich und Oberitalien das Lateinische, die
späteren Galloromanen in Süddeutschland und der Schweiz das Alemannische, die
Indianer in Südamerika das Spanische oder Portugiesische, die Millionen von

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