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personen gelöst werden. Dabei sind alle Alters- und Bildungsschichten, die Stadtteile
sowie die Herkunft (Einheimische und Zugezogene) sowie weitere Merkmale
berücksichtigt worden, obwohl in der heutigen Gesellschaft ein durchgängig
schichtenspezifisches sprachliches Verhalten schwer festzustellen ist. Ein jeder von
uns ist gewissermaßen mehrsprachig, und klar gegeneinander abgegrenzte soziale
Schichten gibt es nicht mehr. Entsprechend sind die Ergebnisse der Arbeit sehr
differenziert und nicht in wenigen Sätzen zusammenzufassen. Mundart im engeren
Sinne des Wortes gibt es noch in der älteren Generation, zumeist der sogen. Unterschicht
und der unteren Mittelschicht, und was die Stadtteile anlangt, vor allem
in Herdern, seltener in der Altstadt, in der Wiehre und im Stühlinger. Beherrschend
aber in der Stadt Freiburg ist eine Umgangssprache mit verschiedenen, aber
recht starken Anteilen der Mundart, die sich wiederum auffächern nach Altersklassen
, Schichten, Gesprächssituationen. Viele wechseln täglich mehrmals die
Sprachebene. Vielleicht war der Ansatz der Arbeit zu großzügig konzipiert:
wichtig wäre allein schon, über das sprachliche Verhalten der Schüler (mit Blick
auf Mundart und Umgangssprache) Bescheid zu wissen — und vielleicht noch
wichtiger und noch leichter zu bewerkstelligen — über das der Lehrer. Denn wenn
wir etwas Nützliches tun wollen, müssen wir konkret werden; um den Hebel
anzusetzen, müssen wir Bescheid wissen. Dies erfordert Arbeit, schlichte handwerkliche
Arbeit: Erarbeitung von Grundlagen. Flammende Aufrufe werden in Festreden
als passende Dekoration hingenommen, anheimelndes Sicherwärmen an
vergangenen Geschichten und Dorforiginalen wird von denen, die es in ihrer
Jugend noch erlebt haben, wohlig genossen; aber „der Amigs ischt gstorbe".
Wenn ich Ihnen im folgenden von praktischen Versuchen und Möglichkeiten
berichte, so kann ich mich auf eigene Erfahrungen, Erfolge und Mißerfolge, stützen
als langjähriger Obmann des „Bundes Schwyzertütsch", der in der Vorkriegszeit
zur Förderung der Mundart unter dem Aspekt „geistiger Landesverteidigung"
gegründet worden ist. Dies führte auch gelegentlich zu einer unrealistischen feindlichen
Einstellung gegenüber der Schrift- und Gemeinsprache, zu Übertreibungen,
die aber nie ernst genommen und auch längst wieder aufgegeben wurden: So etwa
der Gedanke, eine eigenständige alemannische Schriftsprache nach dem Vorbild
des Niederländischen zu schaffen. Der Ansatz aber, die erste Muttersprache, die
Mundart ernst zu nehmen, ihre Diskriminierung im Vergleich zur Hochsprache zu
überwinden, ist durchaus aktuell geblieben. Die Mundart ist zum Glück auch in
Baden noch keine Dienstmädchen- und Bauernsprache im abschätzigen Sinn, und
man kann nur hoffen, daß man, um sie neu zu entdecken und zu beleben, hinter
ihr her ist wie hinter den Dienstmädchen, die heute als Hausgehilfinnen und
Hausbeamtinnen eine soziale Aufwertung erfahren haben. Mehrwert ist in der Tat
eine Haupttriebkraft des sozialen, aber auch des sprachlichen Lebens und
Wandels. Wenn ein Regierungspräsident Mundart spricht und sich zu ihr bekennt,
ist das „mehr wert" als noch so gut gemeinte Veranstaltungen, natürlich nur im
genannten Sinne. Mundart darf nicht als eine Sondersprache ehrwürdigen Herkommens
und Alters geachtet werden, die allerdings aus jedermann einsichtigen
Gründen in einem Großstaat wie der Bundesrepublik keine gemeinsprachliche
Funktion mehr haben, also keine allgemeine Umgangssprache hat bleiben können
noch wieder werden kann, ist doch die Mobilität der Menschen ohne Schranken
sowohl in der freien Niederlassung, in den unablässigen Reisen wie in der ausgleichenden
und einebnenden Funktion der Massenmedien. Den Jammer darüber
sollten wir uns ersparen: das ist Altweiberhaltung und bringt der Sache keine
Freunde. Auch wird der Jammernden immer weniger.
Zum „Mehrwert", der vom Sozialprestige der Mundart ausgeht und der vor
allem von den Leuten, auf die man schaut, besonders über die Massenmedien,
gefördert werden kann, muß dazukommen: das Bewußtmachen von Wert und
Eigenständigkeit der Mundart. Dies ist eine Aufgabe für die Gebildeten und die
Wissenschaft: nämlich die Einsicht in die Besonderheiten der Sprachform „Mundart
" zu fördern, und dies kann nicht ohne häufigen Bezug zur Hochsprache hin
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