http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/mgl-1976-03-04/0175
Richter (und vor ihm selbst Bendel im Rahmenwerk seines sonst eher steifen
Hauptbildes) mit der Häfnet-Jungfrau noch an das Märchenhafte einer Lorelei zu
erinnern vermag, blickt uns bei Kögler eine Halbwüchsige frivol ins Gesicht. Bei
Felix Hoffmann wird sie — wieder ein halbes Jahrhundert später — zwischen
Waldpflanzen kauern, ein Naturwesen oder vielleicht nur eine Augentäuschung im
Schatten eines Baumstrunkes, mit niedergeschlagenen Augen und dem klagenden
Ausdruck der Verwunschenen . . .
Was die „Vergänglichkeit" betrifft, so haben auch die Illustratoren des 20. Jahrhunderts
das Vater-Sohn-Motiv aufgegriffen 13). Eine differenziertere Variante der
Richterschen Bild-Idee stammt von Walter Roshardt **). Im Vergleich zu Kögler
fällt die naturnahe Plastizität auf. Die beiden Halbfiguren sind ganz aus der
Nähe und von vorne gesehen. Der impressionistische Strich verdichtet sich in den
Gesichtern; im übrigen ist nur das Nötigste zur Andeutung der Situation gegeben:
ein Stück verfallendes Gemäuer, die Bremskurbel, der Zügel. Während der Knabe
mit seinem Augenaufschlag unglaubhaft idealisiert scheint, wirkt der Vater
porträthaft, ein überzeugendes modernes Arbeitergesicht, allzu deutlich erkennbar
vielleicht für eine nächtliche Szene. Die weit geöffneten Augen scheinen ins Leere
zu blicken, und darin könnte allenfalls ein Hinweis auf innerliches Schauen gesehen
werden. Aber Roshardt hat der Individualisierung so viel Gewicht beigemessen
, daß der Betrachter von der Hebeischen Gleichnishaftigkeit abgelenkt wird.
Wir erkennen auch da die Weisheit von Richters Erfindung: er, der sonst den
treuherzig-gemütlichen Ausdruck des Kleinbürgers oder des zufriedenen Landmannes
liebt, läßt seine Figuren hier gesichtslos.
In einer größeren Federzeichnung hat schließlich auch Felix Hoffmann der
„Vergänglichkeit" das Motiv des heimwärtsfahrenden Bauern mit seinem Sohn
vorangestellt15). Aber seine Illustration gibt unabhängig von Vorbildern eine neue
und eigenwillige Interpretation des Textes. Er verzichtet auf das Symbol der
Ruine Rötteln. Mag sein, daß der hohe Tannenwald von der Situation in Hebels
Gedicht her nicht unmittelbar gegeben ist 16) — immerhin sagt der Bub einmal:
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