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den unmittelbar darauffolgenden Tagen die inneren Stadtteile in Schutt und Asche,
darüber hinaus überschwemmte zu gleicher Zeit die durch die Brandtrümmer
gestaute Birs einige Außenviertel. Trotz allem berief schon zu Beginn des folgenden
Jahres der Rat der opferbereiten Bürgerschaft zur Anfertigung der Pläne und
Übernahme der Bauleitung für die Wiedererrichtung des Chores den an der
Münsterbauhütte in Freiburg beschäftigten Johannes Parier.
Schon der Beginn seiner Arbeit ließ das meisterhafte Können des jungen Parier
erahnen, der das untere Mauerwerk mit dem vortretenden Rundbogenfries mitsamt
den zarten Blendarkaden stehen ließ und darüber die spätgotische Empore
nebst dem Oberbau und Gewölbe mit sicherer Hand gestaltete. Die Neuanlage
des Querschiffs sowie des anschließenden Vorchors, dazu der in den fünf Seiten
des Zwölfecks endende Chorraum mit den großen farbig durchleuchteten Oberfenstern
über dem Altarraum sind eine hervorragende Leistung des Meisters. Jedes
der drei-, vier- oder fünfteilig gegliederten Fenster reiht sich unmittelbar an das
andere. Der ganze Raum bildet eine Glashalle, die für die Bauweise der Spätgotik
recht charakteristisch ist.
Entsprechend dem Chorinnern zeigt die äußere Ostwand einen ruhigen und
kraftvollen Abschluß. Verstärkt wird der Eindruck durch den doppelten Rück-
sprung der neuen Bauteile, zunächst des Emporengeschosses gegen den stehengebliebenen
romanischen Unterbau, dann des Obergeschosses gegen das Emporengeschoß
. Die dadurch entstehenden zwei Plattformen werden im Osten durch
zwei maßwerkverzierte Brüstungen abgegrenzt. Senkrecht steigen die fünf
wuchtigen ungegliederten und mit bequemen Laufgängen versehenen Außenpfeiler
bis zur Decke des Emporengeschosses hoch und erreichen dieses, zurückspringend
, in kräftigen Strebebögen. — 'In allen Stücken ist der neue Chor das
genaue Gegenteil dessen, was der ursprüngliche gewesen sein mußte. Wenn die
Ausführung da und dort etwas roh und flüchtig erscheint, das Mauerwerk noch
mit Klammern zusammengehalten wird, so ist das auf die Eile zurückzuführen,
mit welcher der Altarraum des Münsters wieder für den Gottesdienst nutzbar
gemacht werden sollte.' (H. Reinhard)
(Bauveränderungen am Innen- und Außenchor wurden letztmals in den Jahren
1974/75 vorgenommen.)
VI. Michael Parier aus Freiburg, Leiter der Münsterbauhütte
in Straßburg (1383—1390)
Bis in die Mitte des 14. Jahrhunderts war die Straßburger Münsterbauhütte
weitgehend dem burgundisch-französischen Kathedralstil verpflichtet. Schon dem
heute noch im Frauenhaus aufbewahrten Riß B 2 für den Erweiterungsbau der
Werinher-Basilika diente Notre-Dame in Paris als Vorbild.
Eine Urkunde vom Jahre 1277 nennt erstmals den Namen des Magisters
Ervinus de Steinbach 8). In den Zeiten bis zu seinem Todestag am 17. Januar
1318 entstanden die drei Westportale mit ihren künstlerisch bis dahin kaum über-
troffenen Skulpturen, ferner die herrliche Rose sowie die beiden mit ihren Strebepfeilern
blockartig hervortretenden unteren Geschosse der mächtigen Ecktürme.
Nach einer kurzen Pause erweiterte Meister Gerlach (1341 —1371) die beiden
Turmstümpfe bis zu der 66 Meter hohen Plattform. Zwei 126 m hohe Türme
sollten nach Gerlachs Vorschlag die Westfassade krönen und der angesehenen Stadt
noch mehr Geltung verschaffen. Weniger der Mangel an Mitteln, eher Kleinmut
und Unentschlossenheit, vielleicht auch die Angst vor einem neuen Erdbeben 9)
waren die Ursachen, daß die Bautätigkeit wieder zur Ruhe und Gerlachs Plan
nicht zur Ausführung kam.
Inzwischen war es der Bürgerschaft gelungen, die Vorherrschaft der Kirche und
des Adels zu brechen. Immer mehr erwachte jetzt auch im Elsaß das Interesse
an der Spätgotik. Ihren Einzug hielt sie mit der Berufung Michael Parlers aus
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