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und strählen sehen. An ihrem Rockbund trug sie stets einen Ring mit vielen
Schlüsseln. Fuhren in der Nacht Fuhrleute am Riedbrünnlein vorbei, blies ihnen
die Schloßjungfer oftmals die Laternen am Wagen aus.
Drei Kreuzlein
Eine alte Frau mit durchdringenden blauen Augen war gescheiter als manche
andere in früherer Zeit und wurde deshalb von diesen als Hexe verschrieen. Sie
kannte viele Heilkräuter, bereitete daraus Tee und Salben und konnte Krankheiten
bei Mensch und Tier besprechen. Das hatte sie von den Alten gelernt. Noch lange
erzählten die Leute von der Frau. Einmal lag ein ungetauftes Mädchen vor dem
Hause im Kinderwagen. Da kam die Frau vorbei, sah mit ihren hellen Augen das
Kind lange an und sagte: „Das isch aber e schön Maideli!" Das Mädchen starb
bald darauf, weil die Alte es verhext hatte.
Einmal strich sie auf dem Weg einem Paar fetter Ochsen über ihre Rücken und
sagte: „Das sin aber schöni Ochse!" und sie magerten daraufhin so ab, daß sie
der Bauer notschlachten lassen mußte.
Einmal schenkte sie einer jungen Frau ein Paar weiße Strümpfe. Am Wadenstück
des linken Strumpfes waren aber kaum sichtbar drei rote Kreuzlein eingestickt. Die
junge Frau wußte gleich, daß das kein guter Zauber war, schnitt den Teil mit
den Kreuzlein ab und warf ihn ins Feuer. Das war gut, denn gleich darauf brach
die Alte an der Stelle, an der die Kreuzlein waren, ihr linkes Bein. Was sie der
jungen Frau zugedacht hatte, war auf sie selber zurückgefallen.
Bald darauf schenkte sie der jungen Frau gute Leinenhemden. Da merkte sie,
daß die Alte wieder etwas mit ihr vor hatte, nahm die Hemden mit einem
Stecken, nicht etwa mit der bloßen Hand, und kochte sie in einer starken Lauge.
So konnten sie ihr nicht mehr schaden. Dann hing sie die Hemden an einem versteckten
Platz hinter dem Haus auf, damit sie trockneten. Kurz darauf kam die
Alte und sagte zu ihr: „Gell, Anneli, du hesch e Wösch gha?" Wie konnte das
die Alte wissen? Aber daraufhin mußte sie mit einer heftigen Krankheit ins Bett
liegen und kam nur langsam wieder auf die Füße. Auch das hatte sie der jungen
Frau zugedacht.
Einem Manne legte sich die Alte in mancher Nacht als Katze so schwer auf
die Brust, daß er kaum mehr atmen konnte. Als sie wieder kommen wollte,
packte er die Katze und schlug sie um den Bettpfosten. Am andern Tag kam sie
zu den Nachbarn und hatte den Kopf verbunden. Sie sei gefallen, sagte sie, als
man sie deswegen fragte. Aber die Striemen waren durch die empfangenen Schläge
gekommen.
Geist im Immenkorb gebannt
Dem reichsten Bauern im Dorf hatte der Weinhandel vor weit über hundert
Jahren viel Geld eingebracht. Er war ledig geblieben und wurde ein rechter
Geizhals. Hatte er einem Armen Geld geborgt, und konnte der Mann das Geld
nicht bald zurückgeben, mußten er, seine Frau und seine Kinder vom frühen Morgen
bis Feierabend oft wochenlang auf seinem großen Hof abverdienen. Darum hatte
der Bauer Knechte, Mägde und Taglöhner genug, die er streng beaufsichtigte und
gewöhnlich zu seinem eigenen Vorteil entlohnte. Auch wenn es wenig Kirschen
oder Trauben gab, so berechnete er den Lohn nach dem, was sie davon nach Hause
brachten.
Einem nahen Verwandten war dem Frühjahr zu das Heu knapp geworden,
und er fragte ihn, ob er ihm nicht aushelfen wolle. Er wußte, daß der Bauer
noch Heu übrig hatte, doch dieser gab ihm zur Antwort: „Wenn du diini Chüeih
nit chasch fuettere, so halt doch Geiße!" und so war es in allem.
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