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Wildbaum war es zu danken, daß die Leute mit dem Schrecken davon gekommen
waren. Der Bauer aber behielt sein Geheimnis für sich und stiftete Geld für
diejenigen, die ihre ganze Ernte verloren hatten. Nur mit viel Mühe konnte man
die Äcker wieder in Stand setzen, und die Stelle, wo der wilde Birnenbaum
gestanden hatte, nennt man noch heute „am Wildbaum". Die guten Waldfrauen
hat man seitdem nicht mehr gesehen.
Die Schloßjungfer und die weiße Hirschkuh
Auf der Grüneck, über der Straße von Badenweiler nach Kandern, stand vor
tausend Jahren eine kleine Burg, „das alte Schloß" genannt. Droben lebte der
Ritter von Grinick oder Grüneck mit seiner einzigen Tochter und einigen Knechten
und Mägden. Das Schloßfräulein war sehr schön und zu Menschen und Tieren
freundlich. Doch der Ritter, dem das Land gehörte, war hartherzig und streng
mit seinen Untergebenen, wenn er auch seiner Tochter jeden Wunsch erfüllte,
selbst wenn es um das harte Los seiner Leute ging. Einmal brachte er ihr eine
goldene Kette mit heim, und ein andermal schenkte er ihr eine junge schneeweiße
Hirschkuh. Bald folgte das Tier dem Schloßfräulein überallhin, und damit sie
jedermann erkennen konnte, legte das Mädchen der Hirschkuh ihre goldene
Kette um den Hals.
Unterhalb der Burg fließt heute noch das Hagbrünnlein, und bei diesem lag der
Burggarten, in dem allerlei heilsame und würzige Pflanzen wuchsen. Am Brünnlein
wusch sich jeden Tag das Schloßfräulein und kämmte ihre hellen Haare, und
die Hirschkuh trug das Fräulein von der Burg herab und wieder hinauf. Eines
Tages ließ sich die Hirschkuh lange nicht dazu bewegen, das Schloßfräulein zur
Burg zu tragen. Erst als es dem Abend zuging, ließ sich das Tier nieder und trug
das Mädchen langsam den Berg hinauf.
Doch auf der Burg sah es schrecklich aus, denn alles war so verwüstet, daß es
dem Schloßfräulein graute. Als auf ihr Rufen keine Antwort kam, suchte sie
entsetzt die Burg bis zur obersten Turmkammer ab, wo sie ihren Vater und einen
Knecht erschlagen auffand. Die Schloßjungfer klagte und weinte und wünschte
auch sich den Tod.
Während sie sich am Brunnen aufgehalten hatte, bekam der Ritter davon
Kunde, daß ein Feind auf dem Weg zur Burg sei und sie überfallen wolle. Da ließ
er in aller Eile das Wertvollste auf einen Wagen packen und vier schwarze Stiere
davor spannen, die so ungestüm davonrasten, daß die Fahrer bergauf bremsten,
bergab frei laufen lassen mußten, damit sie schneller wieder bergauf kamen. Die
Treiber knallten mit den Peitschen und riefen „Hoi! Hüst und hott!" daß es
weithin widerhallte. Für den Ritter und seinen Knecht war es zur Flucht zu spät,
und als die Feinde nichts von Wert fanden, zerstörten und verwüsteten sie, was
noch da war und töteten zuletzt den Ritter, der mit dem Knecht bis zur Turmkammer
um sein Leben gekämpft hatte.
Das Schloßfräulein lief vor die Burg, setzte sich auf die wartende Hirschkuh
und sagte traurig: „Trag mi furt, nume furt, wuhi de witt!" und die Hirschkuh
trug sie zu einer tiefen Felsspalte im dichten Gebüsch. Von dem Burgschatz, den
Stieren und Treibern hat man nie mehr etwas gesehen. Eine alte Frau erzählte
zwar, den Schatz habe ein Mann von Müllheim, namens Heidenreich, gefunden.
Darum sei er auch so reich gewesen. Doch noch oft war in der Luft das Weinen
und Klagen der Schloßjungfer, das harte Peitschenknallen und das Geschrei der
Treiber zu hören. Und alle hundert Jahre haben Sonntagskinder gesehen, wie die
Hirschkuh mit der goldenen Kette die Schloßjungfer im langen weißen Kleid
zum Hagbrünnlein herabgetragen hat. Oder sie sahen "wie sich die Jumpfere
vum alte Schloß am Hagbrünnli gwäsche un ihri goldige Hoor gstrählt het".
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