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solchen Seitensprung, daß der Mann beinahe die Zügel verloren hätte. Als er sich
umsah, bemerkte er in der Lipburger Hexmatt drei Gestalten, die auf der Wiese
einen gemessenen Tanz aufführten. Sofort wußte der Mann, daß es Hexen waren,
denn der Stabhalter von Lipburg und der Waidgeselle von Sehringen hatten sie
in bestimmten Nächten auch schon dort tanzen sehen, und ein alter Holzfuhrmann
wußte, daß sie rote Augen hatten und Rotwein tranken. Daß selbst sein Roß
beim Anblick der Hexen so erschrocken war, stärkte den Verdacht des Reiters, auch
wenn er nicht hätte an Hexen glauben wollen.
Schatzgräber auf der Sausenburg
Einst gingen vier Holzmacher nach Feierabend in der Nähe der Sausenburg
vorbei. Daheim erwarteten sie hungrige Kinder, und sie sprachen davon, daß sie
ohne Sorgen leben könnten, wenn sie den Schatz auf der Sausenburg heben
könnten. Aber als plötzlich die graue Schloßjungfrau vor ihnen stand, erschraken
sie doch sehr. Wie immer, wenn sie sich zeigte, trug sie einen großen
Schlüsselbund an ihrer Schürze, und ihre dunklen Augen sahen freundlich auf die
vier Holzmacher.
„Ihr könntet den Schatz heben, wenn ihr das tut, was ich euch sage", rief sie
ihnen mit so leerer Stimme zu, daß den Holzmachern die Gänsehaut über den
Rücken lief. Trotzdem blieben sie stehen und horchten auf das, was sie sagte:
„Kommt von heute an in der dritten Nacht, wenn Vollmond ist! Grabt im Turm
so lange, bis ihr auf eine eiserne Kiste stoßt. Auf der Kiste wird ein Hund
liegen; fürchtet euch nicht vor ihm, und holt die Kiste heraus. Gelingt es euch,
so gehört der Schatz darin euch. Und ich bin erlöst. Nur eine Bedingung stelle ich:
ihr dürft keinem Menschen je etwas davon verraten, was hier geschehen ist, und
während ihr den Schatz hebt, müßt ihr schweigen."
Die Männer beredeten sich kurz, dann versprachen sie alles so zu tun, wie es die
Jungfrau verlangt hatte, die dann so plötzlich wieder verschwand, wie sie gekommen
war.
Mit Pickeln, Schaufeln und Seilen traten die vier Holzmacher heimlich in der
dritten darauf folgenden Vollmondnacht den Weg zur Burg an. Eifrig und schweigend
gruben sie um Mitternacht nach dem verborgenen Schatz. In etlicher Tiefe
stießen sie endlich auf einen eisernen Kasten und beeilten sich, diesen freizulegen.
Als sie beinahe soweit waren, lag auf einmal ein großer schwarzer Hund darauf,
der die Männer mit feurigen Augen anfunkelte. Sie schlugen ihn kurzerhand tot
und bemühten sich nun, den Schatz herauszuheben.
Die Männer hatten den eisernen Kasten schon mit Hilfe von Seilen zur Hälfte
aus dem Loch gehoben, da sah einer von ihnen zufällig hinauf in die Höhe des
Turmes. Entsetzt stieß er einen hellen Schrei aus, als er sah, daß ein mächtiger
Mühlstein an einem dünnen Bindfaden über ihnen hing. In der Mauer aber saß ein
kleines verhutzeltes Männchen, das mit einer Schere immer nach dem Bindfaden
zwickte. Voller Angst rannte er davon, und die andern drei Männer folgten ihm.
Jetzt begann ein Donnern und Poltern, daß sie glaubten, es stürze alles über
ihnen zusammen. Sie hörten noch, wie die Jungfrau aus dem tiefen Turm heraus
klagte: „Weh, weh, weh mir! Nun muß ich noch einmal hundert Jahre verwunschen
in der Burg unten schlafen, bis ich erlöst werden kann!"
Aber die vier Männer rannten den Berg hinab und wußten am andern Tag
nicht zu sagen, wie sie heimgekommen waren. Ihre Haare waren schneeweiß
geworden; sie wurden krank und starben nach drei Tagen. Von da an hat man
die Jungfrau nicht mehr gesehen.
Früher hatte man sie manchmal in der Nähe der Burg gesehen, und immer
hatte sie einen Bund Schlüssel an ihrer Schürze getragen. Wollten böse Buben
die Jungfer ärgern, verunreinigten sie das Wasser des kleinen Sees, den ein Bäch-
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