http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/mgl-1978-03-04/0112
keine „Außenbehaltig" abwarf oder nur sehr schwer trug, so verzichteten die verkaufenden
Eltern zugunsten des kaufenden Kindes.
Doch die „Außenbehaltung" allein sicherte dem Waldbauern und seiner Frau
noch keinen sorgenfreien Lebensabend, zumal sehr oft eine hohe Lebenserwartung
in den entsprechenden Familien erblich war, gleichwie heute einem Rentner ein
kleines Vermögen dem heutigen Geldwert von einigen tausend Deutschen Mark
entsprechend, „eine Schwalbe allein noch keinen Sommer macht". Vater und
Mutter brauchten in erster Linie ein gesichertes Dach über dem Kopf, Nahrung und
Kleidung, eine warme Stube und die Gewähr, daß sie im Krankheits- und Pflegefall
nicht auf die Gnade der Angehörigen angewiesen waren, sondern ein Recht
auf eine gute Behandlung und Pflege bis an ihr Lebensende behielten. Diese dem
allgemeinen Lebensrecht zugeordneten Bedürfnisse wurden beim Hofverkauf
spruchreif, denn die heutigen Rentenversicherungsbeiträge in Form von 180 Kalendermonaten
für die gesetzliche Mindestaltersversorgung lag für die Waldbauern
in Form von Fleiß- und Schweißbeiträgen nicht bei dem staatlichen Versicherungsträger
in Berlin, sondern auf dem Bauernhof im heimischen Dorf.
Das 4. Gebot: „Du sollst deinen Vater und deine Mutter ehren, auf daß du
lange lebest im Lande, das dir der Herr, dein Gott, gibt", scheint indessen unseren
Altvorderen keine hinreichende Garantie gewesen zu sein, um sich, auf Kind- und
Kindeskind hoffend, der nahenden Erwerbsunfähigkeit auszuliefern, vielmehr
scheint das Neue Testament „alle Dinge sind möglich bei Gott" (Marci 10/27), den
tiefschürfenden Betrachtungen für eine rechtliche Absicherung der „kommenden
Tage" zugrunde gelegen zu haben, denn Vater und Mutter holten ein Stück Papier
und schrieben auf, was sie im einzelnen für ihre tägliche Notdurft benötigten,
besprachen das „Gewollte" in der Gemeinschaft durch, beschlossen das „Gesagte"
in gegenseitiger Zufriedenheit und entließen mit dem Wörtlein „Schliß", welches
der jeweilige Schreiber, der von amtswegen mit diesem gewichtigen Wort konfrontiert
wurde, nach Belieben mit einem Stich ins Vornehme, mit einem „e"
ergänzte, ins Rechtsleben.
So begegnen uns in unterschiedlicher Schreibweise „Schliß und Schleiß" hundertfach
in alten Akten, die bis vor 150 Jahren sprachlich quicklebendig, heute das
Gestorbenzeichen tragen und offensichtlich dem alemannischen Sprachgut vollends
verloren gegangen sind.
Die auf die persönlichen Bedürfnisse des einzelnen Waldbauernhofes zugeschnittenen
„Schlißbedingungen" von einst waren keine Konfektion, sondern
maßgeschneiderte Einzelanfertigungen aus der Werkstatt der lebenserfahrenen
Frau Vernunft und Co., welche als stille Teilhaber ausnahmsweise die sächlichen
Geschäftspartner „Gefühl" und „Verständnis" duldete, also einem soliden Handwerksbetrieb
, der derzeitig zugunsten vom Modesalon „Ego" leider nur noch sehr
selten gefragt wird.
In den Grundzügen war das Schnittmuster gleich, Vater und Mutter oder die
einspännigen Elternteile sicherten sich grundsätzlich das freie Wohnrecht auf
Lebenszeit schriftlich, wobei die einen „das beste Recht im Haus", die andern
„den besten Sitz im Haus" wollten, was auf dasselbe herauskommt, denn letztere
bestanden nicht auf einem kunstvoll angefertigten Stuhl, sondern meinten damit
den Wohnsitz, in welchem sie alle Rechte besaßen. Ganz Vorsichtige dehnten das
„beste Recht auf Scheuer, Hofreihte und Stall" aus, Ubervorsichtige setzten hinzu,
daß „sie den Aufenthalt im Hauß daglebens ungekrenkt gestattet wissen wollen"
oder „einen ungestrittenen Blatz im Hauß" beanspruchten, und die Witwe Asal
gab es den Käufern schriftlich, daß sie „das Hausrecht nur auf ihre Berson ausdehnt
und nie mehr heiraten will", kein Wunder, die gute Dame war 84 Jahre alt.
In der Regel sicherten sich die verheirateten Elternpaare „die Kammer neben
der Stuben" welche sie allein bewohnen wollten, die Witwen und Witwer beschränkten
sich auf das „Kuchenkämmerlin", sofern es nicht von der dritten
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