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Form der Kantone) gebildet, diese wieder bilden eine confoederatio, einen Bundesstaat
. Daraus ergibt sich auch die Tatsache, daß der Bürger sein Bürgerrecht
nicht vom Staat verliehen bekommt, sondern eher umgekehrt, der Bürger dem
Staat die Legitimation durch Wahlhandlung und Verfassung erteilt. Das Bürgerrecht
genießt der Schweizer durch seine Geburt in oder seine Abstammung aus
einer Gemeinde, soweit und solange seine Familie das Bürgerrecht dieser Gemeinde
hat.
2.
Der Vergleich zwischen diesen Auffassungen macht deren Herkunft deutlich:
hier die bürgerrechtliche, dort die obrigkeitsstaatliche Auffassung. Es ist bedauerlich
, daß die Publizistik auch in unserer Südwestecke in der Regel das als deutsche
Geschichte schlechthin ansieht, was die alten Schulbücher über preußische Geschichte
verbreitet haben. Gewiß, ein Teil der deutschen Geschichte war das auch
und in manchen Zügen nicht der schlechteste, aber es ist ein Mangel, wenn
namhafte Historiker und Journalisten aus fehlender Kenntnis der südwestdeutschen
Historie auf die staatlichen Entartungen in Brandenburg-Preußen starren
und sie als „die deutsche Geschichte" schlechthin ausgeben. Etwa wenn von einem
verinnerlichten Staatskomplex der Deutschen die Rede ist, oder davon, daß die
amerikanische Gesellschaft sich nicht aus feudal-absolutistischen Zusammenhängen
entwickelt habe, weshalb „die bürgerlichen Rechte (. .) nicht als vom
Staat verliehene Rechte (gelten), in gewissem Sinn werden sie als selbstverständliche
Naturrechte in Anspruch genommen". Oder davon, daß der Rechtsstaat „ein
Produkt preußisch-autoritärer Tradition" sei. 2) Warum aber sind im Zusammenhang
mit der vergeblichen Revolution von 1848 zehntausende süddeutscher Demokraten
in die Schweiz oder ausgerechnet in die Vereinigten Staaten ausgewandert,
wenn nicht aus Protest gegen diese ihrer eigenen Tradition widersprechenden
Anschauungen, die getragen waren einerseits von der preußischen Militär- und
Adelskaste, andererseits von einem ganz undurchsichtigen k. u. k. österreichischen
Gemisch verschiedener reaktionärer Ideologien?
Warum wird heute noch z. B. die Selbstverwaltung auf den Frhr. vom Stein
zurückgeführt? 3) Gewiß er hat es fertiggebracht, im Staate Preußen als dem
„zweitletzten" deutschen Land den Gemeinden ihre alte Selbständigkeit wiederzugeben
. (Das allerletzte Land war wohl Mecklenburg, das 1863 noch die Gutsherren
-Gerichtsverfassung mit der Prügelstrafe gekannt hat.) Weil die Stein'sche
Reform gerade Preußen betraf, wurde sie zur höheren Ehre des Hauses Branden-
burg-Hohenzollern ein Schlager der Geschichtsbücher der 2. Hälfte des 19. Jh.
Unsere Urgroßeltern freilich wußten besser, was die SV damals in Preußen wert
war. Jedermann kann ihr Urteil darüber in den Tageszeitungen der Jahrgänge
1862 ff. zur Zeit des preußischen Verfassungskonflikts nachlesen. Warum aber
bemühen sich die Träger der „öffentlichen Meinung" nicht darum, dem Südwesten
das ganz andere Bild seiner eigenen Staatswerdung auf dem Hintergrund der Gemeindebildung
bewußt zu machen? Ist es gar nicht erwünscht, daß der Bürger
die ihm übergestülpten Vorstellungen von der Allmacht des Staates überwindet
und zurückfindet zu den eigenen Traditionen, die ganz ohne Zweifel starke
bürgerrechtliche Elemente haben?
3.
Prof. Rothmund hat in seinem Beitrag in diesem Heft die geistesgeschichtlichen
und politischen Zusammenhänge, die in der 1. Hälfte des 19. Jh. zur bürgerlichen
Revolution von 1848 geführt haben, geschildert. Wir sind der Meinung, daß es
keine historischen Zufälle waren, daß seit dem späten Mittelalter kräftige
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