http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/mgl-1979-01-02/0090
Hecker und Struve glaubten, von einem deutschen Kleinstaat aus den Kampf
um die Republik aufnehmen zu können. Und sie glaubten weiter, das Volk sei
politisch mündig und aufgeschlossen. Sie glaubten, das Volk sei bereit, ihnen zu
folgen und sich zu erheben. Die großen Volksversammlungen der 47er und 48er
Jahre haben sie getäuscht. Ob in Badenweiler, in Offenburg, in Engen, Göppingen
oder Schwerzen, wo jeweils Tausende erschienen, darf dies nicht absolut als Zeichen
politischen oder staatsbürgerlichen Interesses gewertet werden. So eine Volksversammlung
, in einer Zeit, in der es keine Massenmedien gab, kein Fernsehen,
kein Radio und nur wenige Zeitungen, das war ein Ereignis, zu dem man hinging,
weil dort eben etwas „los" war. Das geht eindeutig aus den Spitzelberichten hervor
, die uns nicht nur aus Lörrach oder Müllheim vorliegen. Die Säckinger Polizei
berichtete darum ans Oberamt, daß ledige „Purschen mit dem Freiheitsbaum eben
einen Schabernack getrieben" haben und auch Lörrachs stv. Bürgermeister, der
Fabrikant Köchlin, bewertete die Errichtung eines Freiheitsbaumes am Marktbrunnen
nicht zu hoch.
Unter diesen falschen Voraussetzungen mobilisierten Hecker und Struve ihre
Freischaren. Sie standen in Verbindung mit Georg Herwegh, der aus deutschen
Flüchtlingen in Frankreich eine Legion rekrutierte, um die Badener zu unterstützen
. Gerüchte durchschwirrten das Land. Die badische Regierung bat den
Bundestag um Militärhilfe. Karl Mathy, ein führender Liberaler, ließ Josef Fickler,
den Redakteur des Seeboten und anerkannten Führer der Demokraten im Seekreis
verhaften. Für Struve und Hecker war dies das Signal einer beginnenden Konterrevolution
. Darum schlugen sie los. In Konstanz riefen sie am 12. April die
Republik aus:
„Das Volk hat sich erhoben, seine Rechte zu erkämpfen und den Zustand
der so lang ersehnten Regierungsform zu erringen."
Auf den 16. April forderte Hecker alle waffenfähigen Bürger vom 18. bis zum
30. Jahre auf, zum Volksheer zu stoßen. In vier Kolonnen wollte er nach Karlsruhe
ziehen, die Hauptstadt einnehmen und damit in ganz Baden die Republik
errichten. Hecker selbst hat uns einen Bericht hinterlassen. Er zeichnet darin seinen
Zug auf; enttäuscht stellte er fest, daß mancher, der des Tages zuvor noch fest
entschlossen war, sich davon schlich oder versprach, nachzukommen. Er lobte: „Die
Frauen und Mädchen zeigten sich mutiger und begeisterter als die Männer. Manchen
, der nachher zu uns stieß, trieben die Frauen und Mädchen mit ihren Vorwürfen
, daß es feige sei, uns im Stich zu lassen und daheim zu sitzen, während
wir die Freiheit erstreben wollen, zu den Waffen." Er zog mit seiner Schar —
knapp 1000 Mann — über Donaueschingen, Stühlingen nach Bernau. Dort versuchten
seine Landtagskollegen, ihn von seinem Vorhaben abzubringen. Im Namen des
Fünfzigerausschusses boten sie Hecker volle Amnestie an. Stolz erklärte Hecker, er
sei ausgezogen, das Volk von Bedrückern zu befreien und er biete diesen 34 Bedrückern
, den deutschen Fürsten, Amnestie an, wenn sie innert 14 Tagen ihrer unrechtmäßigen
Herrschaft entsagen. Der Vermittlungsversuch scheiterte und Hecker
zog über Schönau nach Schopfheim. Laut Hecker wurde seine Schar begeistert in
Steinen empfangen, bevor die Freischar Richtung Kandern marschierte. Oben auf
der Scheidegg kam es dann am 20. April zu dem Gefecht mit den Bundestruppen, in
dem General von Gagern fiel und Heckers Schar die Flucht ergreifen mußte. Hecker
selbst floh in Rheinfelden in die Schweiz. Ein ähnliches Schicksal erfuhr die Kolonne
von Struve und Sigel bei Freiburg. Die Stadt, in der Hand der Republikaner, wurde
am 24. April von Bundestruppen besetzt. Auch die Herwegh'sche Legion wurde geschlagen
. Mit diesem letzten Gefecht bei Niederdossenbach war der badische Aufstand
zerschlagen. Die Führer waren geflohen oder saßen wie Struve im Gefängnis
. Ihr Mut war keineswegs gebrochen. Sie arbeiteten weiter, agitierten und
sammelten ihre Kräfte. Für sie war es ein verlorenes Gefecht, doch kein verlorener
Krieg. Für sie ging die Revolution weiter.
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