Universitätsbibliothek Freiburg i. Br., H 4688,fm
Das Markgräflerland: Beiträge zu seiner Geschichte und Kultur
41.1979, Heft 1/2.1979
Seite: 115
(PDF, 39 MB)
Bibliographische Information
Startseite des Bandes
Zugehörige Bände
Regionalia

  (z. B.: IV, 145, xii)



Lizenz: Creative Commons - Namensnennung - Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0
Zur ersten Seite Eine Seite zurück Eine Seite vor Zur letzten Seite   Seitenansicht vergrößern   Gegen den Uhrzeigersinn drehen Im Uhrzeigersinn drehen   Aktuelle Seite drucken   Schrift verkleinern Schrift vergrößern   Linke Spalte schmaler; 4× -> ausblenden   Linke Spalte breiter/einblenden   Anzeige im DFG-Viewer
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/mgl-1979-01-02/0121
maier durfte sich auch hier irren und einen Namen verhören. Allerdings trifft
man in Freiburg noch heute die Namensform„Bauschlicher" an.

Ob Agricola das Mädchen, wie es nun auch hieß, auf der Durchreise in Denzlingen
gezeichnet hat? Hat er Hebel dann in Karlsruhe die Zeichnung gezeigt?
Erblickte Hebel bei dieser Gelegenheit in dem Mädchen eine Personifikation
seiner „Wiese"? Oder waren es Hebelverehrer, die diesen Zusammenhang herstellten
? War es am Ende Agricola selbst, der das Denzlinger Mädchen zum
Bild von Hebels „Wiese" umstilisierte? Und die Neunzehnjährige dem gealterten
Hebel gegenüberstellte? Agricola scheint eine Schwäche für solche Gegenüberbzw
. Zusammenstellungen gehabt zu haben: Seine Werkverzeichnisse weisen ja
ein Gegenstück zum Hebel-Baustlicher-Doppelporträt nach: „lOOjähriger Greis
und Julia A."

Interessante, aber müßige Fragen. Eines darf als sicher angenommen werden:
Die Zusammenstellung der beiden Porträts ist sicher nicht ohne Wissen und Einverständnis
Hebels erfolgt: Die Komposition zeigt ihn genau so, wie er sich selbst
verstand und wie er sich gerne verstanden und dargestellt wissen wollte: Als
leutseligen, würdigen, freundlichen älteren Mann, — als väterlichen Freund und
Verehrer schöner Weiblichkeit, — als väterlichen Mahner und Warner, — als
Mahner in das heimatliche Milieu hinein, — kurz: als eine Art Erzvater des
Markgräflerlandes. Daß die Basler Variante des Doppelporträts durch das Einblenden
der bedeutendsten katholischen Kirche der badischen Hauptstadt zwischen
die Figuren des evangelischen Prälaten und des markgräflerisch-„evangelisch" gekleideten
Mädchens für unser heutiges Empfinden ins ökumenische hinein erweitert
, mag als pikantes Kuriosum angemerkt sein.

Am Ende sei auch eine kunstgeschichtlich-stilistische Einordnung dieses Ölgemäldes
versucht. Man hat Agricola bzw. seinen Werken einen Hang zum
Süßlichen und Weichen nachgesagt. Unser Ölbild mag dergleichen bezeugen: Der
milde, schalkhafte Ausdruck in Hebels Gesicht, — das glatt-verschmitzte Wesen
des Mädchenantlitzes, — das ist allerdings manieriertes Beharren im 18. Jahrhundert
, ein fast noch schäferisch-rokokohaftes Sichzurschaustellen, transponiert
in ein aufklärerisch-moralisierendes, genrehaftes, beinahe pseudonatürliches Dasein
im Stil Louis-XV, — ins Provinzielle verspätet, aber auch durch das Provinzielle
verinnerlicht — und das strenge, nicht mehr spielerische Biedermeier vorausnehmend
: All dies ist in diesem Gemälde — und im Vergleich zur Kirschgartenzeichnung
und zu den Lithographien durch die kompromißlose Kontur und
Koloratur der miniaturistischen Ölbildtechnik ungleich entschiedener und allgemeingültiger
manifest vorhanden. Uber die Epochengrenzen hinweg — was heißt
angesichts der künstlerischen Qualität dieses Gemäldes schon Rokoko, Zopf und
Directoire und Empire und Restauration und anhebendes Biedermeier! — ist
hier doch von einem Künstler, der in allen diesen Epochen und Stilströmungen
zuhause war, eine — wenngleich substituierte, aber von Hebels Wesen, von seinem
Wiesegedicht und von seiner volkspädagogischen Absicht präfigurierte (ein Lieblingswort
Hebels!) Begebnisform zwischen Erzieher und Jugend künstlerisch so
ausgeformt worden — im Technischen wie im Psychologischen —, daß das Ergebnis
ein wirkliches Kunstwerk ist. Ein Kunstwerk, das mehr ist als nur ein
Doppelporträt. Ein großes Kunstwerk, weil es mehr aussagt als nur einen zeitlichen
oder nur personalen Bezug, — nämlich darüber hinaus ein Allgemeines, ein
zeitlos Gültiges. Gewiß trägt jedes Kunstwerk den handwerklichen und begrifflichen
Stempel seiner Entstehungszeit, aber daß ein Bild über das vordergründig
Biographische des Porträts, über das Darstellen des Zeitkolorits in Kostüm und
Geste, — über all das hinaus etwas Allgemeingültiges auszusagen vermag, — das
eben macht das Kunstwerk aus, das zeitlos dauert. Und genau diese Kriterien
weist dieses wiedergefundene Ölbild auf: Es gibt zwar Menschen wieder, wie sie
waren, — spiegelt sie zeitkritisch und zeitstilistisch getreu, — es gibt darüber

115


Zur ersten Seite Eine Seite zurück Eine Seite vor Zur letzten Seite   Seitenansicht vergrößern   Gegen den Uhrzeigersinn drehen Im Uhrzeigersinn drehen   Aktuelle Seite drucken   Schrift verkleinern Schrift vergrößern   Linke Spalte schmaler; 4× -> ausblenden   Linke Spalte breiter/einblenden   Anzeige im DFG-Viewer
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/mgl-1979-01-02/0121