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Das Markgräflerland: Beiträge zu seiner Geschichte und Kultur
41.1979, Heft 1/2.1979
Seite: 138
(PDF, 39 MB)
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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/mgl-1979-01-02/0144
entdeckt, und in Jezowers großer Traumsammlung ist er nicht vertreten. 10) Der
Grund für diese auffällige Mißachtung liegt sicher nicht in den Aufzeichnungen
selbst, sondern eher in dem gängigen Hebelbild, das einen träumenden, phantastischen
Hebel nicht erwarten läßt.

Allerdings stellen solche Traumaufzeichnungen den Literaturwissenschaftler
vor besondere Probleme. Der umstrittene Charakter des Traums und die meist
ungeklärten Bedingungen, Umstände und Ziele der Aufzeichnung, das Zusammenfließen
von bewußter und unbewußter Gestaltung, von traumhaftem Erleben
und wacher Wiedergabe, der damit zusammenhängende Doppelcharakter
von gestaltetem Text und unmittelbarem psychologischen Dokument fordern eine
Vorentscheidung über den Weg der Interpretation, die das Ergebnis schon vorwegzunehmen
droht. u) Es hängt letztlich von der Traumauffassung des Interpreten
ab. Hinzu kommt, daß sich — zumindest mit Dichterträumen — zwei Wissenschaften
konkurrierend beschäftigen, Literaturwissenschaft und Psychologie.

Als extreme Standpunkte lassen sich die psychoanalytische Deutung, für
welche die Traumaufzeichnung nur Dokument und Symptom ist, auf der einen
und die Behandlung der Träume als literarische Kunstwerke von großer seelischer
Unmittelbarkeit auf der anderen Seite festhalten. Eine psychoanalytische Deutung
der Träume Hebels ist jedoch nach den Maßstäben Freuds unwissenschaftlich, da
uns Hebel nicht mehr „die hinter dem Trauminhalt stehenden unbewußten Gedanken
" ausliefern kann. 12) Dagegen dürfte die Suche nach Jung'schen Archetypen
durchaus erfolgversprechend sein. Aber seine Voraussetzung, „Visionen und
Träume [seien] spontane Aussagen der menschlichen Psyche unter Ausschaltung
des Bewußtseins und seiner weltanschaulichen Begriffe" 13), ist nur bei einer
gründlichen Reduktion des Traumes auf seinen Kern, oder wie immer man das
nennen mag, zutreffend. Dabei wird aber der Traum zerstört; das mag für die
Erkenntnis von Archetypen nützlich sein, dient aber nicht der Erfassung des
Traumtextes.

Unangemessen ist aber auch die Interpretation der HebePschen Traumaufzeichnungen
als Dichtung. Denn als solche waren sie von Hebel nicht gedacht und
wären sie auch von seinen Zeitgenossen nicht akzeptiert worden. Deshalb möchte
ich sie in den Zusammenhang stellen, in den sie als Texte gestellt werden müssen,
in Zusammenhang nämlich mit den zeitgenössischen Traumaufzeichnungen und
Traumvorstellungen. Sie in den für sie als psychologische Dokumente natürlichen
Zusammenhang zu stellen, nämlich ihnen eine Stelle unter den Dokumenten zum
Charakterbild Hebels zuzuweisen, ist dagegen kaum möglich. Ich möchte nur
versuchen zu erklären, weshalb der Dichter seine Träume überhaupt aufgezeichnet
hat.

3. Die Träume

Wie aus der Handschrift hervorgeht, hat Hebel an seinen Aufzeichnungen nicht
gefeilt, sondern sie zügig und offenbar um Genauigkeit bemüht niedergeschrieben.
Er hat weder bewußt die Darstellung einer phantastischen Traumwelt angestrebt
noch sie zugunsten logisch oder psychologisch leicht auswertbarer Züge zurückgedrängt
. Seine Phantastik ist spontan.

Hebels Träume lassen sich in Traumbilder13) und Traumszenen9) aufteilen,
die restlichen fünf entziehen sich einer Gruppierung. Die Traumszenen sind durch
fließende Assoziationen, Wandel der Schauplätze und der Personen, stilistisch
durch protokollartige, kurze, schmucklose Sätze und unvermittelten Abbruch der
Aufzeichnung gekennzeichnet. Die sich selten oder gar nicht wandelnden Traumbilder
sind dagegen geschlossen, stilistisch sorgfältiger bearbeitet, anschaulicher;
Hypotaxe herrscht vor. Schwer zu fassen ist die Traumstimmung. Hebel berichtet
meist so neutral und drängt das träumende Ich so sehr an den Rand, daß

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