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jetzt, wie mir Herr Prof. Stintzi mitgeteilt hat, die heilige Agnes verehrt. Aber
nach einer in der Schweizerischen Nationalzeitung vom 1. Nov. 1854 veröffentlichten
Sage sind auf einer Wanderung zum Besuch der in Wenzeswil wohnhaften
heiligen Walburga, ihrer Gefährtin im Pilgerzug der heiligen Ursula, dort die
drei Einsiedlerinnen von den drei Hügeln bei Basel ermordet worden. Ihre Namen
gibt diese Sage mit Margaretha, Chrischona und Elisabeth an. Und hier stoßen
wir auf eine Schwierigkeit der Sage von Chrischona, Margaretha und Odilia.
Daß Odilia dreizahlgeneigt ist, und vier Heilige dieses Namens vom Pilgerzug
der heiligen Ursula insgesamt abgesetzt sind, habe ich erwähnt. Die heilige Odilia
ist als die Tochter des Herzogs Attidi blind geboren, von ihm deshalb verstoßen
worden. Sie hat bei der Taufe das Augenlicht durch ein Wunder erhalten. Sie
wird deshalb von Augenleidenden 67) besonders angerufen und trägt als Symbol
häufig zwei Augen mit sich. Sie ist als Äbtissin des Klosters Hohenburg auf dem
Odilienberg bei Straßburg und des von ihr weiterhin gegründeten Klosters
Niedermünster am 13. Dez. 720 gestorben, und wird als die Diözesanheilige von
Straßburg und die Heilige des Elsasses verehrt. Ihr Kult wurde von den Benediktinern
und Prämonstratensern weit verbreitet 68). Barth hat in ganz Europa um
das Elsaß als Dichtigkeitszentrum herum über 1250 Kultzeugnisse, Kirchen-
patronate, Altarpatronate, Heiligenfiguren und -Gemälde festgestellt. An ihren
Stätten wird aber heute größtenteils kein liturgischer Gottesdienst mehr für sie
gehalten, oder hat auch nie stattgefunden. Solche Kultzeugnisse finden sich in
unserer Umgebung außer in Arlesheim, wo das Kloster Hohenburg einen Gutshof
hatte und Odilia die Patronin der Pfarrkirche ist, in Bahlstal und Fehren im
Bezirk Thierstein 69) nach den Feststellungen von Barth in Waldshut, Säckingen,
Rheinau, Niedergebisbach, Breisach, Brombach, Freiburg, Emmendingen, und vor
allem auch im Elsaß, so in Maria-Stein, Markirch, Ottmarsheim und Basel70),
wo ja zwei Benediktinerinnenklöster bestanden haben. Es ist deshalb kein Wunder,
daß neben Chrischona und Merge-Maria, Odilia in den Kirchenbüchern unserer
Gegend zu den meist eingetragenen Namen gehört, und zwar in der Dialektform
Dilgin 71), die einen starken Wortanklang zeigt an Tüllingen, das im Dialekt ja
Düllge gesprochen wird.
Übrigens wurde im saarländischen Dillingen, ursprünglich geschrieben „Dullingen
" und „Tullingen", die heilige Odilia als Patronin der Eigenkirche des Klosters
Hohenburg verehrt 72).
Dieser Wortanklang kann zur Einführung privaten Otilien-Kults, kann auch
zu seiner Andichtung an Tüllingen geführt haben. Ein Kultzeugnis fehlt. Es ist
möglicherweise natürlich während der bilderstürmerischen Strömung in Basel
zerstört worden. Ob die beiden Basler Benediktinerinnenklöster Grundbesitz in
Tüllingen gehabt haben, ist nicht festgestellt. Sicher haben die Benediktiner von
St. Blasien Grundbesitz dort gehabt. Die Benediktinermönche haben andernorts
den Odilien-Kult eingeführt73). Um die Ausübung des Odilienkults in Tüllingen
zu beweisen, habe ich bis jetzt nichts beibringen können. Das evangelische Tüllingen
steht im Bezug auf schriftliche Überlieferung und Uberlieferung aus dem
Volksmund nicht anders da, als viele katholische Orte, an denen Kultzeugnisse
vorhanden sind, aber keine liturgische oder private Kultausübung überliefert ist.
Eine solche private Kultausübung ist überliefert durch die Wallfahrten für Sankt
Chrischona, die möglicherweise, wie andern Orts eine von den drei Jungfrauen,
einen vorrangigen Kult genossen hat (vgl. hierzu obige Ausführungen vor Anm. 5,
17, 40, 56). Bewiesen ist das erst recht nicht. Aber eine Sage braucht ja nicht
auf geschichtlichen Vorgängen oder Ereignissen beruhen. Daß es sich hier um
eine echte Sage handelte, setzt nicht voraus, daß ein Drei-Jungfrauen-Kult, auch
nur ein Kult der heiligen Odilie in Tüllingen tatsächlich stattgefunden hat. Aber
es ist unwahrscheinlich, daß die drei einander widersprechenden Sagen nach der
Reformation entstanden sind, die die Funktionen der Heiligen als Heil- und
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