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noch lange Zeit die Stadt, das natürliche Zentrum ihres Lebensraumes. Gewiß:
Karlsruhe war die neue Hauptstadt, „eine fremde, kalte, unheimliche Stadt, die
ihnen nichts gab als Befehle und Bescheide, in deren Kasernen ihre Rekruten,
in deren Rentkammern ihre Steuern verschwanden, aber Basel war das Herz
ihres Landes, das ihnen wiedergab, was es empfing, Leben für Leben und Freude
für Freude . . . die erste Baselreise war das erste große Ereignis im Leben der
Dorfkinder. Keine größere Wonne für die Markgräfler Bauernmädchen, als nach
Basel zu fahren, für die Bauernburschen, als auf des Vaters Gaul nach Basel zu
reiten. Viel Geld ließen sie dort, in den Kaufläden und in den Wirtshäusern.
Aber die Bauern brachten auch viel Geld nach Haus. Alles, was diese gesegneten
Gelände hervorbrachten, wurde zu Basel in Geld verwandelt, Ochsen und Pferde,
Wein und Holz, Getreide und Kraut. Und alles, was die Familien an Hausrat
und Kleidung und fremdländischen Waren brauchten, erhielten sie von Basel."
So formulierte es der deutsche Schriftsteller Adolf Schmitthenner, als er das
Tagebuch seines Markgräfler Urgroßvaters Philipp Jakob Herbst, eines Freundes
von Johann Peter Hebel, bearbeitete.
Immerhin blieb das traditionell freundnachbarliche Verhältnis zwischen den
Basler Bürgern und den badischen Monarchen, die nun Großherzöge hießen, auch
im 19. Jahrhundert bestehen. Die Großherzöge galten als liberal, machten aber
aus ihrer Sympathie für die Stadt während den 1830er Wirren zwischen Basel
und seiner Landschaft keinen Hehl. Umgekehrt gewährte das mehrheitlich konservative
Basel während den drei Revolutionen in Baden 1848/49 den Flüchtlingen
zwar Asyl, aber nur vorübergehendes, und wies sie bald in die Innerschweiz
weiter. Viel stärker wog in den Beziehungen jedenfalls die ungemein
starke deutsche Einwanderung nach Basel im 19. Jahrhundert. Dessen Bevölkerung
verfünffachte sich von 1833 bis 1900 und stieg bis 1970 nochmals auf das
Doppelte. Die sich rasch industrialisierende Stadt brauchte ein Heer von kaufmännischen
Angestellten, Dienstmägden, Fabrikarbeitern, Taglöhnern, Kutschern,
Gärtnern, Hausknechten, Kellnern. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts
war jeder siebte Stadtbewohner ein Hausangestellter! Der Prozentsatz der Ausländer
in der Bevölkerung stieg von 23% anno 1837 bis auf 38% anno 1910.
Und innerhalb der deutschen Niedergelassenen betrug der Anteil der Badener im
Jahrhundertmittel 63,5%. Die Einbürgerungspolitik wurde in Basel sehr großzügig
, als man realisierte, daß die Bürger gegenüber den Niedergelassenen zusehends
in die Minderheit gerieten. So hat Baden und ganz besonders die ehemalige
Markgrafschaft einen gewichtigen Anteil am großen Wachstum und an
der Blutauffrischung Basels im 19. Jahrhundert. Zahllose familiäre Beziehungen
zwischen hüben und drüben ersetzten nun die ehedem so enge wirtschaftliche
Verflechtung. Die Assimilation fiel ja leicht; Markgräfler wie Basler sprachen
dieselbe Sprache, das Alemannische. Durch ihren starken Verkehr mit Basel,
formuliert Schmitthenner treffend, hatten die Markgräfler einen Zug in ihr
Wesen bekommen, der es ihnen leichter machte, sich mit fremder Art zu versöhnen
und sich fremdem Gebot zu fügen; ja er schreibt den Markgräflern gleich
den Baslern einen praktischen, berechnenden Sinn zu.
Nachdem die Schweiz anno 1848 ein Bundesstaat geworden war, in dessen
Kompetenz auch die Außenpolitik fiel, und nachdem die Außenpolitik Deutschlands
nach 1871 von Berlin aus bestimmt wurde, kam ein neuer, steiferer Ton
in die badisch-baslerischen Beziehungen. Beide Weltkriege verriegelten die Grenzen
für längere Zeit nahezu hermetisch, auch wenn die deutschen Behörden im
Ersten Weltkrieg den Schweizer Besitzern und Pächtern von Grundstücken jenseits
der Grenze die Bestellung der Felder und das Einbringen der Ernte gewährten
und die Ausfuhr von landwirtschaftlichen Produkten nach Basel gestatteten, so
lange es möglich war. Rudolf Wackernagel schrieb nach dem Ersten Weltkrieg,
anno 1923, in seinem Aufsatz über Basel und die badische Markgrafschaft: „Ein
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