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nie nachlassendes, stets wachsendes, tausendfach geartetes Zusammenleben städtischer
und markgräflicher Bevölkerung, in wirtschaftlichen und persönlichen Beziehungen
sich bezeugend, vom Derb-leiblichen bis zum Allergeistigsten, wogte
unaufhörlich über die Grenze hin und her. Was heute häßliche Sperrung dieser
Lebensströme ist, wirkt auch durchaus widernatürlich." Diese häßliche Sperrung
hat sich in der Zeit der nationalsozialistischen Herrschaft, wir wissen es, verschärft
, und erst nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges begannen sich die
Bande der Nachbarschaft wieder enger zu knüpfen, unter anderen Vorzeichen
freilich, denn heute stehen sich nicht mehr, wie während Jahrhunderten, eine
fast rein agrarische Region und eine Handels- und Industriestadt gegenüber, die
einander brauchen, die aufeinander angewiesen sind, sondern heute grenzt eine
Stadt fast ohne Raum an eine stark industrialisierte und dicht bevölkerte südwestdeutsche
Region. Lörrach, das noch in der Mitte des 19. Jahrhunderts Base!
zu konkurrenzieren versuchte, indem es den Züricher Plan einer Nordbahn von
Zürich bis Koblenz und dann auf deutscher Seite bis zum Grenzacher Horn mit
Anschluß an die badische Eisenbahn und unter Umfahrung Basels befürwortete —
Lörrach und Weil sahen sich ebenso als Kopfstationen wie Birsfelden für die
schweizerische Zentralbahn und St. Louis für die französische Bahn, eine Reihe
von „Baseltrutzen" also — dieses Lörrach also, heute eine Stadt von über 32 000
Einwohnern, übt jetzt den größten Teil jener Funktionen aus, die einst Basel für
das Markgräflerland innehatte. Und wenn man anno 1900 in Basel spottete, der
neue Basler Rathausturm müsse nur deshalb so hoch gebaut werden, „damit die
Räte in ihre alte Heimat hinüberschauen könnten", so ist das neue Lörracher
Rathaus wohl deshalb so hoch geraten, daß Ihre Räte schauen können, wo ihre
Verwandten hingeraten sind!
Die wirtschaftlichen Beziehungen haben sich dem Gang der Geschichte elastischer
angepaßt. Vom Holz, dem „Erdöl des 18. Jahrhunderts", war schon die
Rede. Basel zahlte im 18. Jahrhundert meist mehr als im Markgräflerland selbst
gelöst werden konnte, denn der Brennstoffmangel wurde im Zeitalter der Bevölkerungsvermehrung
eine Existenzfrage. Gegen den verbotenen Holzexport
nach Basel war das badische Forstamt in Karlsruhe so gut wie machtlos. Der
Markgräfler Wein bildete während Jahrhunderten wohl das Hauptgetränk der
Basler; den Elsässer leistete man sich bloß am Sonntag, wenn man nicht sogar,
was häufig geschehen sein soll, die beiden Weine miteinander vermischte! Wenn
man von der Papierfabrikation, die ja schon im 16. Jahrhundert von Basel aus
über die Grenzen griff und sich auch in Lörrach ansiedelte, absieht, so treten
die Beziehungen im industriellen Sektor erst seit dem Beginn des 19. Jahrhunderts
in Erscheinung. Denn was im 18. Jahrhundert an frühindustriellen Projekten
und Unternehmungen vorab in Lörrach und Schopfheim zu registrieren ist, z.B.
die französische Tabakfabrik, die Indiennefabrik des Berners Küpfer (der Vorgängerin
der späteren großen Firma Koechlin, Baumgartner u. Cie), die Bleicherei
in Schopfheim, wurde von Basel aus kaum gefördert. Aber auch die Markgräfler
selbst waren nicht bereit, für einen relativ niedrigen Lohn industrielle Heimarbeit
zu leisten, solange ihnen der Lebensunterhalt durch die Landwirtschaft gesichert
schien.
Im 19. Jahrhundert freilich wurde das Wiesental recht eigentlich von Basel
aus industrialisiert, denn seit dem Anschluß Badens an den deutschen Zollverein
1835 konnte die schweizerische Industrie die Zollschranken nur durch Filialgründungen
überspringen. Zu diesen gehören die Baumwollweberei und -Spinnerei
von Wilhelm Geigy-Lichtenhahn in Steinen, die Baumwollspinnerei Felix Sarasin
u. Heusler in Haagen, die Maschinenfabrik Louis Merian in Höllstein, die Baumwollspinnerei
Böiger, Iselinu.Co. in Schönau und Zell, die Seidenbandfabrik Sarasin
u. Co. in Lörrach. Wie in Basel, so wurden auch im Wiesental spezielle Arbeiterhäuser
errichtet; freilich zeigten sich auch alle Schattenseiten dieser Industrialisie-
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