http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/mgl-1981-02/0108
Die Industrie im Wiesental in der Dichtung
Hermann Buttes
von Magdalena Neff
Neue Zwingfrau
Cheemi stöhn wie Fahnestange
Stolz un star vo Wyl bis Fahl,
Schweeri Cholefähne hange
Düster über's Wiesedhal.
Sie verfasere un verschlänze,
Dünkle ihri Säum im Rhy,
Un der Sunne ihre Glänze
Kriegt e dimmere bleiche Schy.
's flöcklet Ruess un tröpflet Lauge:
Und es luegt so finster dry
Us de ehalte gläsigen Auge
Eusi Zwingfrau, d'Industry.
(aus »Madlee«, 1923, S. 147)
In diesem vor dem ersten Weltkrieg entstandenen Gedicht befaßt sich Hermann Burte
am eindrücklichsten mit der Tatsache, daß die Industrie die Herrschaft im Wiesental angetreten
hat. Er ruft uns ein düsteres Bild vor Augen: Die grüne Mattenlandschaft wird
verdunkelt, die friedliche Schönheit des Tales bedroht durch das Wirken dieser »neuen
Zwingfrau« mit ihren unerbittlichen Ansprüchen.
Der 1879 im Bauern- und Weberdorf Maulburg geborene Hermann Strübe, der spätere
Dichter Burte, lernte als Heranwachsender in seinem Heimatort das Alltagsleben der
»Fabrikler« kennen. Sein Vater arbeitete als Buchhalter in einer »baslerischen Spinnerei
und Weberei des Wiesentals«, und so bestand schon von der Familie her eine Beziehung
zur Industrie. Die Gefährten der Kindheit im Dorf waren oft Söhne von Fabrikarbeitern
. Es ist deshalb nicht verwunderlich, daß solche Jugendeindrücke in Burtes alemannischen
Gedichten in dem Band »Madlee« manchen Niederschlag gefunden haben.
Wenn Hermann Burte in seinem »Markgräflerlied« (»Madlee«, S. 26) das Land, »wo
der Rhy go Norde zieht«, und seine Menschen schildert, stellt er dem »sonnigen Rebland
dem Blauen zu« das »rauchige Webland im Wiesental« als gleichwertig zur Seite.
Wenn er in dem Gedicht »Rebland, Webland, Lebland« zunächst die Landschaft »vom
Blauen bis zum Rhein mit ihren Eichenwäldern, Weizenfeldern und goldenen Reben«
besingt, würdigt er in der zweiten Strophe auch den anderen Teil seiner Heimat:
»Isch das my Land vom Feldberg bis an Rhy?
Wo hoochi Cheemi stöhn wie Fahnestange,
Wo schwarzi Cholefähne drüber hange
Un mummle d'Wiese wie mit Laidflör ü?
Das isch my Webland, jo, my Land im Dhal,
Wo hunderttausig flinki Reedli sure,
Wo d'Schiffli zucke dur e Zedel dure,
Wo wiissi Düecher wachse dhüen im Saal.«
(»Madlee«, S. 198)
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