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Das Markgräflerland: Beiträge zu seiner Geschichte und Kultur
43.1981, Heft 2.1981
Seite: 361
(PDF, 36 MB)
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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/mgl-1981-02/0183
sehen als narro bezeugte Won von einem lat. närio 'Nasenrümpfer, Spötter' herzuleiten
ist, ob es evtl. schallnachahmend für einen knurrenden Menschen gebildet sei16', ob es
mit Schnurre oder litauischem narsas 'Zorn' in Verbindung zu bringen ist17 , oder ob es
nicht vielleicht mit der Wurzel des Wortes Narbe zu tun hat, wobei dann auch an altnie-
derd. naru, angelsächs. nearu, engl, narrow 'eng' gedacht werden müßte ' und Narr damit
schon ursprünglich etwas Eingeschrumpftes, Verkrüppeltes und hiernach »einen
verrückten, geistig beschränkten, durch seine gestalt oder geberden und reden als thö-
richt oder possenhaft erscheinenden menschen bedeuten würde«19'.

Einig sind sich aber historische deutsche Wörterbücher2" auch darin, daß Narr nicht
ausschließlich 'Spaßmacher, Schalks- und Fastnachtsnarr' bedeute, sondern daß neben
der auch zeitlich davorhegenden Bedeutung 'verrückte, irrsinnige und überhaupt geisteskranke
, an einer fixen Idee leidende Person'"1 auch noch in verschiedenen deutschen
Mundarten eine übertragene Bedeutung 'mißratene Feld- oder Baumfrucht' vorkomme
""', und um die geht es hier ja. Aus dem Badischen liegen hierfür zahlreiche Belege
vor, sowohl aus dem fränkischen wie aus dem alemannischen Bereich. Die am häufigsten
angegebene Bedeutung 'früh entartete, nicht ausgereifte Zwetschge' ist im ganzen Land
verbreitet, von Adelsheim über Eberbach bis Rippenweier, in Rappenau, Zeutern, Stein
a. Kocher, Diersheim, Stollhofen, Broggingen, Holzhausen b. Emmendingen, Freiburg
-Haslach, Munzingen, Hagnau a. B.; dasselbe für Kirschen ist nur aus Dangstetten
in der Bodenseegegend belegt. Aus einer Reihe von Orten ist neben der eben angegebenen
Bedeutung auch noch eine weitere angegeben als 'aufgeschossene Pflanze', was sich
beziehen kann auf Dickrüben (Tauberbischofsheim, Oberschefflenz, Stockach, Langen-
hardt b. Meßkirch), Kohlrabi (Zell a. H., Waldkirch i. Elzt.), Kohl (Dettingen, Waldwimmersbach
, Neuenburg, Bonndorf i. Schwarzw., Waldshut), Blumenkohl (Handschuhsheim
), gelbe Rüben (Ottersweier), Zwiebeln (Eberbach). Und im ältesten vorliegenden
Beleg von 1517 bezieht sich nar(r) schließlich auf Getreide und Zwiebeln: Item es
wuchs im selben jar fill gersten und vill zubel, aber der merteill warend itel naren, alls
groß, alls ain arm um sich ist, so lang und gros wurden die naren des selben jarsr~". Hier ist
in der Tat ein recht früher Zeuge für die Verwendung des Wortes in der Bedeutung 'unentwickelte
, mißgebildete Früchte', doch erlaubt auch dieser Beleg nicht, zweifelsfrei zu
postulieren, daß diese Bedeutung die ursprüngliche und die Bedeutung 'Geisteskranker'
die hieraus übertragene sei, schon allein deswegen nicht, weil für diese letztere frühere
Bezeugungen aus benachbarten Mundartlandschaften"4 und außerdem aus schriftlichen
Quellen2" vorliegen.

Immerhin ist Narr als Bezeichnung für nicht richtig entwickelte Früchte über das
Oberdeutsche261 hinaus auch im Mitteldeutschen im Bereich des Hessischen2", Rheinischen28
', Thüringischen29' und — in der Zusammensetzung Narrekwetsche 'taube, unreife
Zwetschgen' - auch im Lothringischen3"' verbreitet.

In Zusammensetzungen, v. a. Zwetsch(g)en-, aber auch Rüben-, Roggennarr findet
sich das Wort natürlich auch in den übrigen erwähnten Mundartlandschaften. Doch
muß man immer bedenken, daß es dort nicht das einzige diesbezügliche Wort ist. So gilt
im badischen Bereich z. B. für 'unterentwickelte Kirsche(n)' manchenorts Schnalle(n)
für 'unentwickelte Zwetschge' Tärtsche oder Täsche(n), im Thüringischen Schnurrgieke.
Immerhin scheint bei entarteten Steinobstfrüchten Narr(en) sich eher auf Zwetschgen,
Schornickel(i) eher auf Kirschen zu beziehen. Gemeinsam ist beiden Wörtern aber die
Möglichkeit, daß sie aus einer ursprünglichen Bezeichnung für etwas Behindertes, nicht
voll Ausgewachsenes, Debiles, Verkrüppeltes, im Hinblick auf Menschen gesagt, übertragen
werden konnten zur Benennung von Früchten, welche nicht zu ihrer richtigen
Form gefunden haben. Außerdem erleichtert mir auf der Suche nach der ursprünglichen
Benennung auch der Begriff des Verrückt-Spielens von Pflanzen, sie es beim Nicht-richtig
-Auswachsen von Obst oder beim Hochschießen von Feldfrüchten, die Annahme, es
handle sich um eine aus dem menschlichen Bereich vorgenommene Übertragung auf
Pflanzliches.

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