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Diese einleitenden Bemerkungen waren vorauszuschicken, um deutlich zu machen, was es heißt,
daß wir hier in erster Linie das Werk eines Juristen vor uns haben, nicht das eines Historikers, der
wohl oft die Gewichte und damit die Folge der Themenbündel anders, und gerade in umgekehrter
Reihenfolge sehen würde. »Verwaltungsgeschichte Badens...« oder »Badens Weg zum Verwaltungsstaat
. ..« wäre wohl, dem Inhalt entsprechend, ein richtigerer Titel gewesen. Gleichwohl hätte
das Werk die Zusammenfassung der Materie im Sinne eines solchen Titels durch einen ausgewiesenen
Historiker verdient.
Zwischen dieser Uberfülle von Verwaltungsgeschichte finden sich - da das Ganze ja in einem historischen
Rahmen steht - eingestreut einige Kapitel, die neue, bisher nur wenig angefaßte Themen
betreffen. So etwa S. 383ff. »Die Entwicklung nach 1945«. Hier sind die Deutschlandfrage, die
Länderfrage und Lösungsversuche der Besatzungsmächte, die staatsrechtlichen, verwaltungsrechtlichen
und politischen Verhältnisse (in dieser Reihenfolge!) in den Ländern Baden und Württemberg
-Baden auf 21 S. dargelegt. Es wird dabei zwar über die Inhalte der beiden Verfassungen referiert
, nichts erfahren wir über die Art der Entstehung und die Überlegungen, von denen die Besatzungsmächte
einerseits, die Verfassunggebenden Versammlungen andererseits ausgegangen sind.
Interessant sind auch die Erwähnung der Räumungen von Kehl und der Reichenau von ihrer deutschen
Bevölkerung und des Versuchs, das erstere dem französischen Staatsgebiet einzuverleiben -
eine Einstellung zur Gegenwart aus der besten Tradition Ludwigs des XIV.
Daß die bisher skizzierte verwaltungsrechtliche Sicht dieses Werks ihre Berechtigung für das 19.
und 20. Jh. hat, steht außer Zweifel. Diese Sicht aber auch für die Zeit des Ancien regime, die Zeit
vor der franz. Revolution anzuwenden, wäre jedoch historisch unzulässig. In dieser Gefahr steht
der Autor aus seiner auf Rechts- und Verwaltungsnormen fixierten Gedankenwelt. Deshalb ist zu
den historischen Teilen, die der Entwicklung vor 1648 und bis 1789 gewidmet sind, noch einiges zu
sagen.
Da das Thema »Geschichte Badens« das nach 1803 aus vielen Kleinterritorien entstandene Bundesland
meint, sind bei der Vorgeschichte (vor 1803) nicht nur die verschiedenen altbadischen Landesgebiete
zu berücksichtigen, sondern neben der Kurpfalz eine Unmenge von Gebieten mit jeweils
eigener Tradition. Es ist ganz klar, niemand wird erwarten, daß ein einzelner Autor diese vielfältige
Materie fehlerfrei beherrschen kann, eine Schwierigkeit, deren sich jeder Landeskundler bewußt ist.
Der Rezensent wird sich deshalb hüten, etwas zu den Darstellungen der Geschichte anderer Landesgebiete
zu sagen, und sich auf einige Bemerkungen zu dem beschränken, was der Autor zur Landesgeschichte
der Oberen Herrschaften der alten Markgrafschaft Baden-Durlach gesagt hat.
Einen Mangel grundlegender Natur läßt zunächst die Darstellung der Bildung der Gemeinden (S.
164, »Die Verwaltung im gemeindlichen Bereich«) erkennen. Der Satz »Die örtlichen Gemeinwesen
hatten sich aus der Organisation der Markgenossenschaften entwickelt« ist durch die einschlägige
Literatur seit mehr als 40 Jahren überholt. Zu diesem Thema haben wir uns in dieser Zeitschrift
wiederholt geäußert, so daß wir uns den Nachweis ersparen können. Zur Regionalgeschichte direkt
: Die Bezeichnung des Klosters Sulzburg als erste Grablege der Zähringer ist eine Vermutung,
die gesicherter Grundlagen entbehrt. Das gleiche gilt für die Annahme der Herkunft dieser Familie
aus dem Breisgau und ihre Abstammung vom Grafen Guntram. Ein irgendwie gearteter genealogischer
Zusammenhang kann (als Hypothese) vermutet werden, seine Art ist bisher aber nicht nachweisbar
.
Der Jurist hält es für einen Mangel, daß es kein »Reichsrecht« gegeben hat. Der Historiker sieht
den selbstverständlichen Grund in der föderativen, meist zunächst lehensrechtlichen Adels- und
Ländergliederung, die sich im Hochmittelalter herausgebildet hat. Der Hauptgrund ist dabei im
»Alten Recht« zu sehen, das auch vielen Kleinterritorien die Erhaltung einer altüberlieferten inneren
Rechtsstruktur gewährleistet hat. Bei jedem Erbgang hatte der nachfolgende Landesfürst vorab
zu schwören, daß er das Land bei seinen hergebrachten Rechten und Freiheiten schützen wolle und
werde. Das war die normative Grundlage des »Alten Rechts«, weit wirksamer als jede papierene
bzw. pergamentene Codificatio. Deshalb auch geben die »Landesordnungen« im allgemeinen kein
neues Recht bekannt, sie sind nicht, wie der Autor glaubt, der Kodex einer neuen Ordnung, sondern
sie fassen zusammen, was bisher Recht war oder durch neue Gewohnheiten Recht wurde. Als
Beispiel sei der Begriff »Bürger« für Bauern bzw. Dorfbewohner in der Landes-Ordnung von 1654
genannt. Der älteste Beleg für die Bezeichnung von Landbewohnern als Bürger ist dem Rezensenten
aus dem Jahre 1595 für unser Gebiet bekannt. Es wäre reizvoll, noch ältere Belege mitgeteilt zu bekommen
. Der Grund ist in der weitgehenden Gleichstellung mit dem Stadtbürger etwa in Fragen
der Selbstverwaltung zu sehen. Der Autor irrt auch mit folgendem Satz (S. 164): »Der Schultheiß
oder Vogt, wie später der Ortsvorsteher hieß, war und blieb in erster Linie für den örtlichen Bereich
Vertreter des Landesherrn, von dem er bis 1760 ernannt wurde und später nach Einführung der
Wahl zu bestätigen war...« Schultheiß war ursprünglich ein herrschaftliches Richteramt, dessen Bezeichnung
in einigen Gegenden in Städten, in anderen auch in Dörfern galt. Bei uns nur in Sulzburg
und Emmendingen. Für das Oberland ist belegt, daß die Vögte und ihre Ortsgerichte von der Dorf-
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