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ren verlor er das Amulett wohl noch zu Lebzeiten aus der Kapsel heraus, da es, wie E.
Wagner35) berichtet, aufgerollt an der Nordmauer der Thermenruine gefunden wurde. -
Auch andere Mittel konnten dem Menschen der Antike Schutz verleihen. Hier ist die beträchtliche
Zahl geschnittener Steine zu nennen, die auf uns gekommen ist. Bei diesen
Gemmen sollte nicht nur der Stein als solcher apotropäisch, d. h. übelabwehrend, wirken
; auch die eingravierten Zeichnungen, Symbole und Namen wie z. B. Abraxas oder
Semesilam waren als zusätzliche Schutzbringer gedacht36'. Auf diesen Gedanken sei aber
nur am Rande hingewiesen, um das Bild ein wenig abzurunden.
Amulette wurden vermutlich nicht 'fabrikmäßig' hergestellt37'. Der Glaube an die ihnen
innewohnenden magischen Kräfte ist für unterschiedlichste Kulturbereiche bezeugt
. Diese Kräfte reichten nach antiker Meinung so weit, daß sie durch sog. Defixio-
nen, also Bannungen, den Tod einer Person verursachen konnten58'. Damit aber die
Amulette59' diese Energien entfalten können, bedarf es eines Magiers, der die jeweils
wirksamen Kräfte beeinflußt und lenkt60'. Es ist von daher denkbar, daß derjenige, der
ein Amulett wollte, zum Magier oder Zauberer ging und sich von ihm ein auf die persönlichen
Bedürfnisse zugeschnittenes Amulett als Schutz-, Zauber- oder Bannmittel gemäß
den entsprechenden Zauber- oder Fluchformularen anfertigen ließ.
Ein letzter Punkt, der wegen seiner gewaltigen kultur- und religionsgeschichtlichen
Bedeutung aber ebensowenig ausdiskutiert werden kann wie die zuvor in diesem Abschnitt
angesprochenen Gedanken, betrifft die Einordnung dieser Art von Amuletten.
Früher nannte man sie gnostisch61'. Dieser Begriff wird in der neueren Forschung mehr
und mehr gemieden zugunsten der Bezeichnung synkretistisch62' oder magisch '. Das
ist richtig so. Seit man gelernt hat, daß die Gnosis (die Lehre des »Erkennens«) nicht eine
weltanschauliche oder religiöse Richtung beliebiger begrifflicher Dehnbarkeit ist, sondern
eine Religionsform, deren Wesenszüge fest umreißbar sind64', sollten die Amulette
und Gemmen tatsächlich als magisch und nicht als gnostisch bezeichnet werden. Die magischen
Amulette wurden wesentlich vom frühkoptischen Ägypten aus verbreitet65', einem
Land also, in dem das autochthone Bevölkerungssubstrat griechisch überlagert
war66'. In der Verbreitung und Weiterbildung der einschlägigen Zauberformulare wurde
vielleicht aufgrund der eben genannten historischen Voraussetzung an dem griechischen
Element der 'Charaktere' festgehalten; es wurde somit zu einem magisch wirksamen
Einzelteil des Ganzen, auch wenn die Sprache beim Amulett von Badenweiler lateinisch
ist. Ob allerdings der hier nicht erstmalig67' vorgetragene Gedanke Bestand haben wird,
wird nur durch eine Großfeldanalyse ermittelt werden können. — Erwiesen ist jedenfalls
für den Bereich der Amulette und der Gemmen außer ihrer Herkunft aus einem ethnisch
und sprachlich gemischten Land68; die synkretistische Aufnahme von griechisch-römischen
und jüdischen Einflüssen69•'. Vor diesem Hintergrund muß betont werden, daß das
Amulett aus Badenweiler keinesfalls als christlich angesprochen werden kann701; es kann
nicht einmal eingeräumt werden, daß »diese magische Richtung ... geholfen (habe), dem
Christenthume die Wege zu bahnen«71'. Im Gegensatz zur Meinung Wiedemanns geht
man heute davon aus, daß die magischen Amulette nicht mit dem Auftreten des frühen
Christentums verschwinden mußten, sondern vielmehr erst oder auch durch klerikalen
Einfluß entstanden, so daß die theologische Lehre und die Laienfrömmigkeit nicht voneinander
abwichen72'. Diese Erkenntnis ist von großer Bedeutung für die kultur- und religionsgeschichtlichen
Zusammenhänge.
Kommen wir zum Schluß. Der Versuch, das Amulett von Badenweiler im Licht der
Forschungsergebnisse der letzten Jahrzehnte zu sehen, ergab für den Text des Amuletts
eine in einigen Punkten revidierte Lesung. Die früher meist ausgesparte erste Zeile konnte
erklärt werden, während bei den meist als sicher angesehenen letzten drei Zeilen neue
Fragen auftauchen. - Die Frage nach der geistigen Heimat solcher magischen Amulette
führte - wie seit langem bekannt - in das koptische Ägypten, verwarf aber die traditionelle
Zuschreibung an die Gnosis zugunsten einer Einordnung des Inhalts als magisch
bzw. synkretistisch. Doch bevor wir diese magischen Zauberdinge, die für den antiken
SS
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