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guren aufzutreten, ihre Rollen zu spielen und abzutreten, Welttheater mit Puppenspiel. Die Szene
wird immer wieder neu gestellt, nichts wird ausgelassen, weder SS-Greuel noch Schikane nach 44
durch die Franzosen, weder Kampf der Umweltschützer noch deutscher Untergrund, weder soziale
und politische Not in Südamerika noch hoffnungsvoller Aufbruch der »Solidarnosc«. Und im
Mittelpunkt der Szene immer »Ixe«, das Dorf und seine Bewohner, drei Generationen, Gestalten
aus dem elsässischen Volk:
Großvater Jerri und Großmutter Katrin, Schang und Charles, die zwei Maler, Pool der Kranführer
, Doni der pensionierte Eisenbahner, Lüi der ledige Wirt, Hubert, ein Mechaniker, Rene, ein
neunzehnjähriger Akkordeonist, Eddes der Sänger, Seppel der Dorfreporter, Schilies der Waldläufer
und Mehmet, ein türkischer Gastarbeiter, dazu Frau Berengere Grahn aus der Touraine und
Tochter Beatrice, Fritz Müller, der Denunziant aus der Nazizeit, und die tüchtigen Beamten Voisin
und Gounon aus der Auvergne und nicht zu vergessen Hababb, der Dorfnarr mit den prophetischen
Fähigkeiten. So ziehen sie vorbei, gedrängt, dicht gereiht. Man wollte die Szene anhalten, genauer
hinsehen, anfassen dürfen, weniger wäre dann mehr. So wird in kurzen Szenen und mit filmischen
Rückblenden das Schicksal des Elsaß und der Elsässer vorgeführt, hin- und hergerissen zwischen
Frankreich und Deutschland, immer unter Zwang des sich Anpassen müssens, immer dazwischen
stehend. So wird die Suche nach Identität noch lange dauern. Es wundert einen nicht, daß Heribert
Grahn, der Chronist, schließlich seine Reisetasche packt und einfach weggeht. Flieht?
Man freut sich auf den nächsten Gedichtband Andre Weckmanns. Hermann Merkle
Nichts »Romanhaft Ausgehecktes". . . Aus den wiederentdeckten Erinnerungen
des Lucian Reich
LUCIAN REICH: Wanderblühten aus dem Gedenkbuche eines Malers.
Nachdruck der Originalausgabe von 1855 mit einem Vorwort von Eckart Ulmann.
Kehrer Verlag KG., Freiburg, 1981, 308 Seiten, Kolorierte Zeichungen. DM 24,80
»Es war bereits Abend, als ich in Hauenstein ankam und im Schwarzen Adler, dem einzigen und
deßhalb besten Gasthofe der Stadt, mein Absteigequartier nahm, Ich mußte der Tochter meines
Wirths Recht geben, als sie mich versicherte, man nenne Hauenstein eigentlich nur aus Spaß eine
Stadt. Der Ort nämlich besteht lediglich aus einer kurzen Reihe Häuser, welche mit der Rückseite
die unmittelbare Nachbarschaft des Rheins haben, während vorne der schroff ansteigende Burgfels
kaum nothdürftig Raum zur Führung einer Landstraße übrig gelassen...« - Uber viele Landstraßen
führt uns LUCIAN REICH (1817-1900) mit seinen »Wanderblühten aus dem Gedenkbuche
eines Malers«, dem 1855 zum ersten Mal veröffentlichten und Ende 1981 als Reprint wieder aufgelegten
entzückend bebilderten Geschichten-Buch.
Im Vorwort gibt Eckart Ulmann eine Kurzporträt: Reich verbrachte seine Lehrzeit in Frankfurt
und in München und mußte dann eine schlecht dotierte Zeichenlehrerstelle am Rastatter Gymnasium
annehmen. Seine bescheidenen Einkünfte hat er durch Bücher wie dem vorliegenden zu verbessern
versucht. Mit der Zeichen- und der Schreib-Feder ist er durch unsere Lande gewandert.
Trotz der reizvollen Publikationen und trotz einer Buchwidmung an Badens Regenten Friderich
Wilhelm Ludwig, hat er einen entsagungsvollen Lebensabend ertragen müssen.
In seinen Zügen, so berichtete Hansjakob, der ihn noch drei Tage vor seinem Tod besucht hatte,
hätten sich »Bitterkeit und Biederkeit« die Waage gehalten.
Ein Jahrhundert lang blieb er vergessen; seine Wiederentdeckung (zunächst 1958) ist gewiß ein
Glück für alle Heimatforscher. Seine zart kolorierten Bilder - Kapellen am Wege, die ländlich-gemütvollen
Menschen, die abends um Kerze und Spinnrad sitzen und sich vorlesen lassen —, täuschen
allerdings darüber hinweg, daß nicht nur von Friedlichem die Rede ist; da gibt's auch Schlimmes genug
aus den napoleonischen Kriegen.-
Die »Wanderblühten« wurden aufgelesen bei »Pilgerfahrten durch das Breisgau und das Mark-
gräflerland«, aber auch durch den Schwarzwald und die Baar, durch den Hotzenwald, entlang am
Hochrhein und durch Hohenzollern. Gesammelt wurden Sagen, Geschichten, Historisches, Porträts
, Erinnerungen aus 49 Orten. Im Hauensteinischen zum Beispiel findet sich die Chronik einer
Familie, die sich gegen die »Salpeterer« gestellt hatte; in Friedenweiler stößt Reich auf Zeugnisse eines
Schwarzwälder Schildermalers, dessen Großvater Glasträger war. Vielfache Aspekte biedermeierlichen
Lebens zwischen Krieg und Frieden also, und manches Neue auch für den Heimatkenner
. Nicht zuletzt sind die Erinnerungen zweier Künstler-des Malers J. B. Seele (1784-1814) und
des Musikers J. N. Schelble (1789-1814) - aufschlußreiche Zeugnisse einstiger Kunsterziehung.- In
seinem eigenen Nachwort schrieb Lucian Reich, daß »von romanhaft Ausgehecktem« »blutwenig
in dem Werklein vorkömmt«. Ingeborg Hecht
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