http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/mgl-1982-02/0025
Die Abstimmung über diesen Artikel erfolgte auf einen Antrag Friedrich Vortischs
hin. Sein Antrag auf Wiederherstellung des Regierungsentwurfs (»Die öffentlichen
Schulen sind Simultanschulen im überlieferten badischen Sinne«) wurde in namentlicher
Abstimmung mit 31 gegen 22 Stimmen abgelehnt1"3. Das Ergebnis dieser Abstimmung
hat dann dazu geführt, daß vor der Abstimmung über die Annahme der Verfassung in
der Form der ersten Lesung alle drei Minoritätsfraktionen erklärt haben, daß ihnen eine
Annahme der Verfassung gerade auch wegen des Schulartikels nicht möglich sei. Die demokratische
Fraktion blieb bei den in der Grundsatzdebatte vorgetragenen Zweifeln
und Vorbehalten gegenüber den von der BCSV abgegebenen Begründungen und erinnerte
noch einmal an die bewährte Tradition der badischen Simultanschule: »Die Simultanschule
ist in Baden historisch begründet und hat sich vorzüglich bewährt. Sie zu erhalten
ist oberste Pflicht. Die Formulierung der Art. 83a bis 86 bietet keine Gewähr für die
unbedingte Erhaltung der Simultanschule. Die demokratische Fraktion erkennt grundsätzlich
das Elternrecht in Erziehungsfragen als ein demokratisches Grundrecht an. Der
in Art. 83 a im Zusammenhang mit den Schulfragen verankerte Elternwille gibt aber
nicht die Gewähr dafür, daß nicht nach dem Beispiel anderer Länder der Elternwille zur
Beseitigung der Simultanschule und zur Einführung der Bekenntnisschule und religionslosen
Schule benutzt wird..Diese Gefahr ist um so größer, da man abweichend vom Regierungsentwurf
nunmehr das Wort Simultanschule im Art. 86 nur als erläuterndes Beiwort
in Klammern beifügt, während die Hauptbezeichnung die christliche Gemeinschaftsschule
bildet. Die Gefahr ist unverkennbar, daß mit Hilfe des Elternwillens der
Weg über die christliche Gemeinschaftsschule zur Bekenntnisschule führt...«106.
Die sozialdemokratische Fraktion hat ihre Ablehnung in dieser Frage mit der Befürchtung
begründet, daß mit der ausdrücklichen Festschreibung der Simultanschule als einer
»'christlichen Gemeinschaftsschule' der Konfessionsschule und damit der konfessionellen
und weltanschaulichen Spannung der Schuljugend die Wege geebnet werden sollen«.
Philipp Martzloff sagte weiter: »Jede Spaltung der Jugend aus religiösen Gründen wäre
eine außerordentliche Gefahr für den Aufbau einer neuen Staatsordnung, in der die
Grundsätze der religiösen Duldung und Neutralität und der Schaffung eines wahrhaften
Menschentums Anerkennung finden müssen. Die badische Simultanschule hat in den
vielen Jahren ihres Bestehens - abgesehen von den zwölf Jahren nationalsozialistischer
Gewaltherrschaft - vom Standpunkt der religiösen Erziehung der Jugend nicht den geringsten
Grund zu sachlichen Beanstandungen gegeben. Die Wahrung des religiösen
Friedens und die Erziehung der Jugend im Geiste eines einheitlichen Willens im Sinne einer
positiven Einstellung gegenüber der zu schaffenden demokratischen und sozialistischen
Staatsordnung ist dringend geboten« .
Angesichts des starken Widerstandes der drei Fraktionen und im Interesse, eine breitere
Basis für die Annahme der Verfassung zu finden, war die BCSV zu Konzessionen
bereit. Im Rechtspflegeausschuß kam man überein, Art. 86 Abs. 1 folgende Fassung zu
geben: »Die öffentlichen Schulen sind Simultanschulen mit christlichem Charakter im
überlieferten badischen Sinn«. Diese Fassung wurde vom Plenum der Landesversammlung
am 21. April 1947 bei 8 Enthaltungen der Sozialdemokraten und teilweise der Demokraten
gegen die Stimmen der Kommunisten angenommen108.
3.2 Der unmittelbare historische Bezug der bad. Verfassung
Im bisherigen Verlauf der Arbeit sind einige besonders herausragende Diskussionsschwerpunkte
aus dem Werdegang der badischen Verfassung vor Augen geführt worden
, der eine etwas ausführlicher behandelt, der andere eher skizzenhaft, der eine immer
noch - oder gerade wieder - höchst aktuell, wie z. B. die Bestimmung über die Kriegsdienstverweigerung
, der andere nur noch wegen seiner historischen Reminiszenz interessant
. Nun soll der Blick weg von Einzelheiten hin auf die Verfassung als Ganzes ge-
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