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tums verankert, müssen lebendig zum Ausdruck kommen. Es ist nicht notwendig, daß
man immer wieder das Won 'christlich' betont. Die christliche Tat ist viel wichtiger als
das Wort 'christlich'...«143. Und Friedrich Maier sagte ebenfalls in diesem Sinn: »Wir Sozialdemokraten
sehen in diesen Ärmsten, die nicht nur ihren Besitz und ihre Heimat,
sondern häufig auch den Glauben verloren haben und ausgesprochene Fatalisten geworden
sind, unsere Brüder, die in ihrer leiblichen und seelischen Not unserer ganz besonderen
Hilfe bedürfen. Hier hat das Tatchristentum eine Gelegenheit, sich zu beweisen
«144.
Was nun die inhaltliche Entfaltung dieses Bekenntnisses betrifft - und dies ist der dritte
Grund in seiner allgemeinsten Form -, so hat hier Josef Harbrecht aus Bühl in einer
Rede, die wegen ihrer einzigartigen inneren Geschlossenheit in den Verfassungsarbeiten
der damaligen Zeit ihresgleichen suchen dürfte, Wert, Wirkungsweise, Bedeutung und
Inhalt dieser tragenden Lebensprinzipien genannt. Vor allem in seiner Rede, aber auch
aus zahlreichen verstreuten Einzelbemerkungen anderer Abgeordneter, ist in klarer
Weise deutlich geworden, warum man sich in Baden ganz bewußt und ausdrücklich auf
das »christliche Sittengesetz« und auf die besondere »Verantwortung vor Gott« berufen
hat. Das ist hier deshalb geschehen, weil man überzeugt war, daß es für die Grundlage
des neu zu schaffenden Staates keine besseren ethischen Normen gegeben hat und immer
wieder gibt als die der Bibel. So sagte Josef Harbrecht z. B. im Rahmender Diskussionen
über die Schulfrage: »... Dr. Goerdeler, der seinen Widerstand mit dem Strang büßte,
hat einmal gesagt..., daß uns nach dem Ende des Dritten Reiches eine Demokratie der
Zehn Gebote notwendig ist. Alle unsere Arbeit im öffentlichen Leben wird sich nach
diesen Geboten richten, ohne Ansehen der Person, der Religion, der Abstammung oder
politischen Uberzeugung. Auch unsere Jugend soll diese Zehn Gebote auf ihren Kern
prüfen, und sie wird erkennen, daß diese göttlichen Gebote zu gleicher Zeit die einzige
Voraussetzung sind, daß Mensch mit Mensch und nicht Wolf mit Wolf zusammenlebt.
Sie muß aus den Zehn Geboten auch lernen, daß jede böse Tat über kurz oder lang ihre
Sühne findet. Sie wird dann auch begreifen, daß neben die Zehn Gebote die Ethik der
Bergpredigt treten muß, da in einer von Haß erfüllten, liebeleeren Welt eine menschliche
Existenz, die diesen Namen verdient, unmöglich ist...«145. Im Grundtenor ähnlich, aber
in einem anderen Zusammenhang, hat sich auch Friedrich Vortisch über die Bedeutung
des christlichen Sittengesetzes als einer lebensleitenden Norm geäußert: »... Wenn nämlich
jeder Mensch und vor allem die Gemeinschaften der Menschen, die ja ganz anderen
psychologischen Gesetzen unterliegen, als der einzelne Mensch selbst - wenn also jeder
Mensch und alle Menschengemeinschaften voll und ganz nach dem christlichen Sittengesetz
leben und das Gute tun werden, dann brauchten wir solche Rechtsregeln überhaupt
nicht...«146.
Man war in Baden also davon überzeugt, daß es für die Grundlage des neu zu schaffenden
Staates keine besseren ethischen Normen gegeben hat und immer wieder gibt als die
der Bibel. Man war überzeugt, daß die in der Bibel enthaltenen Normen von Gott für
den Menschen zu seinem Wohlergehen und eben nicht zu seinem Nachteil gemacht worden
sind, und es die einzigen Normen sind, die absolute Gültigkeit haben. Und man war
überzeugt davon, daß ein menschenwürdiges Zusammenleben im neuen Staat nur möglich
ist, wenn Gott wirklich der Herr ist und wenn die Kraft zu einem solchen Leben von
Jesus Christus in Anspruch genommen wird.
Die Frage also, warum man sich in der badischen Verfassung so stark und ganz ausdrücklich
auf die christliche Lehre und auf die »Verantwortung vor Gott« bezogen hat,
ist im Grunde dann einfach zu beantworten, wenn die betreffenden Aussagen im Lichte
der überlieferten Glaubenswahrheiten gesehen werden, wenn also anerkannt wird, daß
das Vertrauen auf die Anrufung von »Gottes Beistand«14 deshalb begründet ist, weil es
jedem Menschen gegeben ist, sich aus dem »Kraftfeld« der »göttlichen Influenz, dem
Einfluß von Gott her, oder, wie der Theologe es nennt, durch die Gnade« sich mit »göttlicher
Lebensenergie« aufzuladen148. Wird dies als Tatsache anerkannt und wird
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