http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/mgl-1983-01/0032
Im Rückblick von Ende 1897 über die 25 Jahre Geschäftstätigkeit der Tuchfabrik als
A.G., von Dir. Labhardt verfaßt, wird nicht versäumt, auf die Unzuverl.issigkeit der
jungen Leute hinzuweisen, »die für Arbeitsberuf leider nicht das richtige Interesse zeigen
und denen es folglich auch an Stetigkeit fehlt. Vom Bedürfnis permanenten Wechsels
hingezogen, wandern viele von ihnen planlos hin und her, von einem Betrieb zum andern
.«
Mit welchen Sorgen der Walkmeister einer Tuchfabrik früher zu tun hatte, sei hier
kurz berichtet, weniger der Kuriosität halber, die wir Heutigen vielleicht empfinden,
sondern weil damit auch ein Stück der Realität früheren Wirtschafts- und Berufslebens
geschildert wird. Im Jahr 1878 war der Bedarf der Wollwäscherei (Walke) so groß geworden
, daß die Firma nicht mehr genügend von einem wichtigen Zusatzstoff für diesen
Zweck bekommen konnte, und das war der Urin. Es kam deshalb ein Baugesuch an die
Stadt, am Eck des Baumgartnerschen Gartens hinter dem sogen. Bandhaus eine Urinsammelanlage
(in einem öffentlichen Pissoir) zu errichten. Man versprach, »für ganz guten
Verschluß des Sammelgefäßes zu sorgen, damit sich kein Geruch von demselben verbreiten
kann« und sich überhaupt allen etwaigen Vorschriften gewissenhaft zu unterziehen
. Da das betreffende Geländestück aber im Eigentum der Zollverwaltung war, mußte
auch diese um Erlaubnis gefragt werden. Und, o Wunder, sie war einverstanden, weil sie
der Meinung war, ein Pissoir sei besser als keins, wo doch der Ort ohnehin schon einschlägig
benützt werde ....
Im Juli 1887 stellte die Tuchfabrik den Antrag, den Bau einer neuen Wollwäscherei zu
genehmigen. Am 15.7. wurden Pläne und Beschreibung offengelegt. In der amtlichen
Bekanntmachung dazu hieß es: »Das Abwasser, das mit alkalischen Bestandteilen vermischt
ist, soll nach Filtrierung desselben in das sogen. Judenbächle (das Abwasser des
rituellen Judenbades der Verf.) und von da in die Wiese abgeführt werden«. Bei geringer
Wasserführung gab das später wiederholt trotz allerhand Schönfärberei zu übelriechenden
Beanstandungen Anlaß. Und der Walkmeister wird außer seiner besonderen Sorgen
mit den »alkalischen Bestandteilen« auch noch manchen Spott haben hinnehmen müssen
.
Übrigens, eine der dringendsten technischen Fragen, die Ende 1897 in der Tuchfabrik
»der Verwirklichung harrte«, war die Einführung der elektrischen Beleuchtung in der
ganzen Fabrik. Sie war für 1898 vorgesehen.
3.2.2 Die Wohnbauten der Tuchfabrik AG.
Nach dem Beschluß des Aufsichtsrates vom 3.4.1888 wurde noch im April und Mai
des gleichen Jahres das Gelände für Arbeiterwohnungen gekauft. Schon im Jahr zuvor,
1887, hatten KBC mit dem Bau der benachbarten Siedlung, die später vom Volksmund
den Namen » Bulgarien« bekommen sollte, begonnen. Es handelte sich um zwei Grundstücke
mit einer Fläche von zusammen 38 Ar 20 qm. Der Verkäufer des ersten Stücks mit
2232 qm »Wiese auf dem Grien einseits Stadtgemeinde (Schlachthof) andererseits Johann
Höferlin von Tüllingen« war, das sollte vermerkt werden, Ulman Kirchhofer, verheirateter
Fabrikarbeiter in Stetten. Der Umfang dieses Geländes erlaubte keine Parzellierung
, man mußte sich auf die Blockbauweise beschränken. Die Frage, ob Miet- oder Eigentumswohnungen
gebaut werden sollten, scheint vom Aufsichtsrat erwogen worden
zu sein, die Entscheidung fiel zugunsten der Mietwohnungen. Nach der »Denkschrift«
vom Jahresende 1897, einem Rückblick über die letzten 25 Jahre Geschäftstätigkeit, ist
anzunehmen, daß man bei zunehmender Fluktuation über freiwerdende Wohnungen
rasch selbst wieder wollte verfügen können. Das mag für einen sehr viel kleineren Betrieb
als KBC, der zudem mehrstufig eingerichtet war, personell also weniger flexibel arbeiten
mußte, ein mehr oder weniger zwangsläufiger Entschluß gewesen sein. Eine Rolle
mag dabei gespielt haben, daß ein größeres Gelände in geeigneter Nähe nicht zu haben
war.
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