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Der Kampf an der Ruhr
Am 11. Januar 1923 berichteten alle Zeitungen in Schlagzeilen »Einmarsch in das
Ruhrgebiet«. Im Düsseldorfer Tagblatt hieß es: »Französische Kavallerie, Infanterie und
Panzerwagen haben heute früh die Grenze des besetzten Gebietes in Kettwig überschritten
und ziehen in zwei getrennten Kolonnen gegen Essen heran« (39).
Der französische Botschafter übergibt in Berlin eine Note, nach der »auf Grund der
von der Reparationskommission festgestellten Nichterfüllung Deutschlands hinsichtlich
der Lieferungen von Holz und Kohle« und »um für die Zukunft die strikte Ausführung
der auf die Reparationen bezüglichen Bestimmungen des Vertrages sicherzustellen
« (40) eine Ingenieurkommission geschaffen werde, zu deren Schutz Truppen erforderlich
sind. Fünf schwer bewaffnete Divisionen Franzosen und Belgier rückten, feldmarschmäßig
ausgerüstet, mit Panzerwagen ein, besetzten Essen und nach und nach das
ganze Ruhrgebiet.
Die Reichsregierung protestierte feierlich vor aller Welt: »An das deutsche Volk! Ein
neuer Gewaltstreich ist auf Deutschland herniedergegangen. Mit wohlberechneter
Wucht trifft der Schlag der französischen Faust den ungeschützten Lebenspunkt der
deutschen Wirtschaft. Längst vorhergesehen und doch unerwartet. Vorhergesehen:
denn die Pläne und Wünsche der Pariser Machtpolitik sind ohne Scheu auf Gassen und
Märkten erörtert worden. Unerwartet, denn immer wieder blieb die Hoffnung, daß die
wirtschaftliche Vernunft des französischen Volkes die politische Begehrlichkeit seiner
Machthaber zügeln würde.«
Durch Deutschland ging ein Schrei der Empörung. Die Reichsregierung rief den »Passiven
Widerstand« aus. Die Eisenbahner und Zechenarbeiter folgten den Aufrufen der
Gewerkschaften und der SPD und verweigerten die Arbeit. Frankreich regierte wie in einem
besetzten Land. Die deutschen Eisenbahner und Beamten wurden ausgewiesen, Beamte
verhaftet, die Reichsbank und Zechenanlagen besetzt, ausländische Arbeiter angeworben
und die Gruben in eigener Regie betrieben. Die Truppen übten ein Terrorregiment
aus. Die Gefängnisse waren überfüllt. Zeitungen wurden verboten, Postämter und
Bahnhöfe besetzt. Trotz aller Schikanen der Besatzer sanken die Förderzahlen bis auf die
Hälfte, und die Stahlöfen in Lothringen gingen aus. Uber 147.000 Einwohner wurden
von den Franzosen ausgewiesen, mußten in kürzester Zeit ihre Heimat verlassen —
Kriegszustand mitten im Frieden. Am 31. März 1923 kam es zum blutigsten Zwischenfall
. Französische Truppen schössen auf Arbeiter der Krupp werke und töteten 13 von ihnen
. Alfred Krupp und einige Direktoren wurden verhaftet und vor ein Französisches
Militärtribunal gestellt. Die 10 Verhafteten —unschuldig an dem Vorfall - wurden zu 145
Jahren Gefängnis und 850 Millionen Geldstrafe verurteilt (41).
Das Urteil wurde bestürzt und entsetzt aufgenommen. Frankreich kümmerte sich um
keine Proteste. Lloyd George kritisierte Frankreich, dessen Ziel an der Ruhr die Ausbeutung
Deutschlands und Europas sei. Er warnte: »Die Ruhrinvasion hat den deutschen
Patriotismus aus der Betäubung auferweckt. Damit ist ein mächtiges neues Element
in die Rechnung eingestellt worden.« (42)
Diese Warnung war berechtigt. Die Einheitsfront in der Ablehnung dieser Rechtswidrigkeit
war unerschüttert.
Einige Presseberichte aus dieser Zeit:
»Es ist zu verwundern, daß trotz aller französischen Greuel die Bevölkerung, gequält
, gemartert, vom Hunger bedroht, noch ihre Ruhe bewahrt hat.
Aber ihr Haß gegen die Räuber, Mörder und Schänder, die grausamen Schergen,
ist grenzenlos.
Doch eine furchtbare Saat ist es, die die Franzosen säen.« (43)
»Wo steht geschrieben und wer will es im Ernst vertreten, es sei noch Politik, es
gehöre zu den Erfordernissen eines politischen Systems oder irgend einer politi-
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