http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/mgl-1983-02/0044
lieh an ihren bunten Mützen, beteiligt. Es darf angenommen werden, daß die Ausweisung
von Lehrern der höheren Lehranstalten eine gegnerische Vergeltung darstellte.
Meines Wissens hatte jedoch an dem Demonstrationszuge keiner der Ausgewiesenen
teilgenommen. Es mußten also wohl noch besondere Gründe für die Ausweisung vorliegen
.
b) besondere Gründe: In dem mir zugestellten Ausweisungsbefehl ist der Name nachträglich
in den auf Vorrat hergestellten Schriftsatz eingetragen. Dann ist bemerkt, daß
ich ausgewiesen werde wegen andauernder Widersetzlichkeit gegen die Besatzungsbehörde
und weil ich die Schülerinnen mit Gefühlen des Hasses gegen Frankreich beseelt
hätte. Tatsächlich hat es mir durchaus fern gelegen, durch eine herausfordernde Haltung
die Besatzungsbehörde aufzureizen, da auf diesem Wege nur nutzlose Schwierigkeiten
herbeigeführt werden konnten. Das schließt freilich nicht aus, daß ich mich redlich bemüht
habe, in den Schülerinnen die treudeutsche Gesinnung zu wecken und zu pflegen.
Und dazu gehörte, daß ich die Schülerinnen nicht in Zweifel darüber ließ, daß sie die
französischen Sprachkurse nicht besuchen sollten. Verboten habe ich den Besuch nicht.
Es hat auch keine Teilnehmerin irgendwelche Zurücksetzung erfahren, da wohl in allen
Fällen nur Gedankenlosigkeit der Eltern vorlag. Durch Zuträgerei hat der Leiter der
französischen Schule, Griener, ehemals ein deutscher Lehrer, von meiner Stellungnahme
erfahren und hat das weitere dann besorgt. Erst nach meiner Rückkehr sind mir diese
Zusammenhänge, die zunächst nur vermutet werden konnten, durch Herrn Ministerialrat
Dr. von den Driesch bestätigt worden.
2. Die Abreise. Die Ausweisung erfolgte am 20. Februar 23 morgens 73/4 Uhr. Reisegepäck
mitzunehmen wurde nicht gestattet, da das mit vier Dienstleuten besetzte Auto
es eilig hatte. In der Wachstube am Bahnhof trafen alsbald auch Stud. Rat Kaufhold, Frl.
Stud. Rätin Molinens, Frl. Wilkens und einige weitere Schicksalsgefährten ein. Um 11
Uhr fuhren wir mit der Bahn - andere Fahrgäste mieden den Regiezug - nach Koblenz.
Nach mehrstündigem Herumstehen in den Bahnhofshallen ging es gegen 8 Uhr im Lastauto
weiter nach Diez. Dort wurden wir im Schnee auf der Landstraße abgesetzt. Mit
dem nächsten Zuge fuhren wir sodann nach Limburg. Die Begleitmannschaften haben
sich zurückhaltend und einwandfrei benommen. - Meine Familienangehörigen mußten
innerhalb vier Tagen nachfolgen.
3. Ziellose Wanderschaft und Unterkunft. In Limburg machte sich bald ein starker
Zustrom von Ausgewiesenen bemerkbar. Ein längerer Aufenthalt war nicht erwünscht.
Auch Kassel bot keine Aufnahme. Wir wandten uns nach Berlin. Auf die Bereitstellung
von Wohnungen war man dort im Februar und März 23 nicht im geringsten bedacht.
Wie irgendein Wohnungssuchender konnte man von einer Amtsstelle zur anderen pilgern
; aber ein Zimmer war nicht ausfindig zu machen. Meine Frau und ich hatten in einem
Privathause, Bernburger Straße 19, Unterkunft gefunden. In der Regel mieteten
sich dort Bahnreisende auf einige Tage ein. Das Zimmer wurde nicht geheizt, da es an
Kohlen fehlte. Dagegen waren die großen Warenhäuser wohlig durchwärmt, und auf ihre
Besichtigung wurde daher viel Zeit verwendet. Auch die Besichtigung der hervorragenden
Kunstsammlungen, der Besuch guter Konzerte und Vorträge boten Anregung
und ungemischte Freude____(Ging dann nach Hildesheim). Ich habe später mehrfach
versucht, eine Wohnung mit Kochgelegenheit zu erhalten. Die eingesessenen Bürger ließen
sich zur Hergabe von entbehrlichen Wohnräumen meist durch das Wohnungsamt
nötigen; freiwillig wurde nur abgegeben, um der Beschlagnahme vorzubeugen .... (Ging
dann nach Hannover. Die Ausweisung wurde aufgehoben am 30. September 1924). Meine
Möbel sind sofort nach meiner Ausweisung in einem Dachraum der Auguste Victoria
-Schule untergestellt worden. Die Wohnung wurde sodann durch die Reichsvermögensverwaltung
neu möbliert und einem französischen Kapitän überlassen. Nachdem
dieser im März 1925 nach Frankreich zurückversetzt worden war, konnte ich wieder in
die frühere Wohnung einziehen....
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