http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/mgl-1983-02/0055
Auch der Sozialismus war weitgehend am Ziel seiner programmatischen Forderungen.
Doch es war nicht der Sozialist des Godesberger Programms. Es war ein Sozialist marx-
'scher Prägung, und eben dieser marx'sche Sozialismus war ideologisch erschüttert. Diese
Erschütterung hatte die russische Oktoberrevolution mit sich gebracht: Der Sieg der
proletarischen Idee in einem Land, wo eben nach der marx'schen Theorie dies nicht
möglich gewesen wäre. Die deutsche Sozialdemokratie sah die Realität der Diktatur des
Proletariats und wurde einer Illusion beraubt: Die Sozialisierung der Produktionsmittel
schuf nicht die neue Welt ohne Ausbeutung und ohne Unterdrückung. Und so wurde
aus großen Teilen der klassenbewußten und revolutionären Arbeiter der friedliche
Kleinbürger, der den 8-Stunden-Tag im Wohlfahrtsstaat für den echten Sozialismus
hielt.
Trotzdem handelten Sozialdemokraten und Liberale. Und weil sie handelten aus Verantwortungsgefühl
dem Ganzen gegenüber, gaben sie den Anlaß zur Dolchstoßlegende.
Weimar war von Anfang an diskreditiert:
Der Sieg der Demokratie in Deutschland
war nur erreicht worden durch das Zusammengehen
mit den feindlichen Demokratien.
Das war für die junge Republik eine belastende Hypothek.
Wären diese Demokratien nun nicht in Siegerpose gefallen, hätten sie den Revanchegedanken
zurückgestellt, hätten sie Deutschland bei seinem demokratischen Neuanfang
nur einen kleinen Vertrauensvorschuß gegeben, wäre eine andere Situation geschaffen
gewesen.
Gläubig starrte das Volk auf die 14 Punkte von Wilson. Sie waren Grundlage des Waffenstillstandes
und sollten Grundlage des Aufbaus der deutschen Demokratie werden.
Schmählich wurden dieser Glaube und das Vertrauen enttäuscht.
Die 14 Punkte wurden dort angewandt, wo sie zum Schaden der jungen Republik
wurden, doch nicht umgekehrt. Nur ein Beispiel - es wird im Frühsommer in unserem
Kreis wegen der Schlageterfeiern wieder aktuell-: In Oberschlesien wurde abgestimmt,
mehrheitlich für Deutschland. Trotzdem kam es an Polen. Deutschland mußte die Alleinschuld
am Kriege auf sich nehmen. Auf dieser Kriegsschuldlüge basierten die Reparationen
. Weil man auf sie nicht verzichten wollte, wurde das Friedens werk auf Ge-
schichtsklitterei und Lüge aufgebaut. Aus einer durch vier harte Kriegsjahre geschwächten
Volkswirtschaft mußten 100 Milliarden Goldmark herausgepreßt werden.
Demokratie und Friedensvertrag gehörten in der Vorstellungswelt der meisten Deutschen
zusammen und behinderten damit die Integration des Bürgers in den neuen Staat.
Die Folgerung des Deutschen aus der Dolchstoßlegende und dem Versailler Vertrag
war:
Die Siegermächte wollen die Demokratie, weil eben diese Demokratie ein schwaches
Deutschland bringt.
Schwach nach außen - jede Demütigung hinnehmend (Versailles, Ruhrgebiet,
Saar, Oberschlesien).
Schwach nach innen - keine Autorität und keine Initiative gegen radikale Gruppen
von links und von rechts.
Das alles wurde auf die Demokratie abgewälzt und auf deren Träger, auf die Parteien
als die tragenden Stützen des demokratischen Staates.
Den Kampf gegen diesen Staat nützte der Nationalsozialismus aus. Er bediente sich
geschickt der nationalen und völkischen Propheten, die einen neuen Mythos schufen,
den Mythos vom 3. Reich. -
Es waren 3 Faktoren, die wesentlich zu diesem Mythos beitrugen:
- der Staat von Weimar
- die wirtschaftlich-soziale Lage und
- die geistige Situation.
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