Universitätsbibliothek Freiburg i. Br., H 4688,fm
Das Markgräflerland: Beiträge zu seiner Geschichte und Kultur
45.1983, Heft 2.1983
Seite: 110
(PDF, 39 MB)
Bibliographische Information
Startseite des Bandes
Zugehörige Bände
Regionalia

  (z. B.: IV, 145, xii)



Lizenz: Creative Commons - Namensnennung - Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0
Zur ersten Seite Eine Seite zurück Eine Seite vor Zur letzten Seite   Seitenansicht vergrößern   Gegen den Uhrzeigersinn drehen Im Uhrzeigersinn drehen   Aktuelle Seite drucken   Schrift verkleinern Schrift vergrößern   Linke Spalte schmaler; 4× -> ausblenden   Linke Spalte breiter/einblenden   Anzeige im DFG-Viewer
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/mgl-1983-02/0112
lieh längst dem neuen Glauben näherstehend, als sie offen zugeben durften. Markgraf
Ernst hatte seine Residenz auch vom nahen Sulzburg ins ferne Pforzheim verlegt, das viel
näher an Württemberg lag als an seinen oberen Stammlanden. Dort hatte er auch mehr
Fühlung mit dem längst lutherisch gewordenen württembergischen Nachbarn (und Verwandten
), war durch den dortigen Hofprediger Truckenbrot mit reformatorischen Gedanken
erfüllt und von Herzog Christoph von Württemberg gedrängt worden, nun auch
ernst zu machen. Verbindungen mit Württemberg weist auch die weitere Einführung der
Reformation auf: Kurfürst Ottheinrich von Neuburg war wieder nach Heidelberg zurückgekehrt
und hatte dort 1542 die Reformation eingeführt unter Beibehaltung der
Kruzifixe. Am 4. 4. 1556 führte er die württembergische Kirchenordnung von Johannes
Brenz ein, ein Jahr später kam Melanchthon dann doch endlich nach Heidelberg, und
ähnlich lief das im gleichen Jahr auch im südlichen Markgräflerland.

An der Abfassung der neuen Kirchenordnung waren Jacob Andreä von Göppingen
und zwei thüringische Theologen, Max Mörlin, Hofprediger in Koburg, und Johann
Stössel von Heldburg sowie der Heidelberger Hofprediger Michael Diller von der geistlichen
Seite beteiligt und schließlich noch drei weltliche Mitglieder. Die badische Kirchenordnung
übernahm fast vollständig den Wortlaut der württembergischen und wurde
am 1. 6. 1556 eingeführt. Ungewöhnlich für die damalige Zeit war, daß jede einzelne
Gemeinde um ihre Zustimmung gefragt wurde. Eine-Beeinflußung durch das nahe Basel,
das ja im Kleinbasel noch im 15. Jahrhundert fest mit dem Wiesental durch das Bistum
Konstanz verbunden war.

Nach dieser Einleitung, die uns bereits ins Jahr der Markgräfler Reformation geführt
hat, sollten wir uns fragen, was eigentlich zur Reformation in jenem 16. Jahrhundert
überhaupt geführt hat. Heute und insonderheit hier unter alten demokratischen Badenern
fragt man nicht in erster Linie nach den großen Männern, die die Reformation
durchgeführt haben, sondern danach, woran es gelegen hat, daß man im Volk mit dem
alten Glauben und ihren Vertretern, den Priestern und Bischöfen und Päpsten nicht
mehr sonderlich zufrieden war. Und da ist die Gemeinde Kirchen ein dankbares Objekt
auch für Kirchenhistoriker. Denn man hat hier einige Dokumente, die die Mißstände am
Vorabend der lutherischen Reformation, am Ende des 15. Jahrhunderts bereits drastisch
schildern.

Ihr früherer Pfarrer Julius Schmidt, auf dessen Kirchener Kirchenchronik (Kirchen
am Rhein, 1912) mich Ihr jetziger Pfarrer gestoßen hat, hat eine undatierte Beschwerde
der Kirchener Gemeinde an den Landvogt von Rötteln aus dieser Zeit kurz vor 1500 abgedruckt
, in der es heißt: »Item me hat es sich begeben von einem Priester, daß zuo Küchen
ist gelegen in großer krankheit ein armer Suhirtt, da send erber lütt gangen zuo dem
Priester und in ernstlich gebetten, daß er zuo dem armen man geng und im bücht her (die
Beichte höre) und (ihn) versorge mit den wirdigen sacramenta, er wolt das nit tuon und
verkürzt den armen man und starb on bücht und on alle sacrament. Darnach war er der
erst, der in (be)erben wolt, und das Seel-geret haben mit siner eygen gewalt und wolt in
nit versorgen mit den sacramenta. Item mer habent mir ein priester gehebt, der schluog
ein armen man uff dem Kilchhoff. (Ein anderer schlug seine Junckfrowen dort). Item mir
habent aber (wieder) ein (priester) gehebt, der ward allwig fol winß und in der Fasten, so
er solt die Lütt zuo Bücht hören, so mußtend sy zuo ihm in das Huß und lag er an dem
rucken in einem gutzen und rackt die Fieß an den Ofen und hört die Lütt zuo Bücht und
sprach zuo einem: Sind dir din Sind leid, so ist es gnuog, also rieht er uns uß und (wir)
wurdent gar sehr übel underwist und bereit(et) zuo den heiligen wirdigen Sacramenten,
weder mit wortten noch mit wercken noch mit siner underwysig ... Item mer habent mir
gehöbt ein Lütpriester, der gieng in der Karwochen von der Küchen (verließ sie) und ließ
die Küchen ston onversehen uß der ursach, das die herren zuo Sant Petter ihm und den
andren nit geben, daß sy by uns belyben mugent«. Ein weiterer von vielen anderen Klagepunkten
sei noch aus der gleichen Schrift zitiert: »Item for ettlichen zitten hond sy uns
ein priester geben, der hett Kind, der gieng enweg und ließ die Kindly sitzen onversorgt,

110


Zur ersten Seite Eine Seite zurück Eine Seite vor Zur letzten Seite   Seitenansicht vergrößern   Gegen den Uhrzeigersinn drehen Im Uhrzeigersinn drehen   Aktuelle Seite drucken   Schrift verkleinern Schrift vergrößern   Linke Spalte schmaler; 4× -> ausblenden   Linke Spalte breiter/einblenden   Anzeige im DFG-Viewer
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/mgl-1983-02/0112