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ist bei den heutigen Anhängern Müntzers in Ost- und Westdeutschland viel zu wenig bekannt
, obwohl sie billig bei Reclam zu haben ist.
Das ist der Hintergrund für Luthers Brief »An die Fürsten zu Sachsen von dem aufrührerischen
Geist« von 1524. Luther unterscheidet scharf zwischen dem Aufruhr als
solchem und der »schwärmerischen« Lehre. Dieser Lehre gegenüber ist Luther durchaus
zur Toleranz bereit: »Man lasse sie nur getrost und frisch predigen, was sie können und
wider wen sie wollen... Man lasse die Geister aufeinander platzen und treffen. Werden
etliche indes verführt, wohlan so gehts nach rechtem Kriegslauf. Wo ein Streit und
Schlacht ist, da müssen etliche fallen und wund werden« (WA 15, 213). Im Anschluß an
1. Korinther 11,19 sagt Luther: »Es müssen Sekten sein und das Wort Gottes muß zu
Felde liegen und kämpfen« (WA 15, 218).
Nachdem Müntzer eingesehen hatte, daß er sein Programm, Vernichtung der Gottlosen
, mit den Fürsten nicht verwirklichen konnte, versuchte er es mit der Bauernbewegung
gegen die Fürsten. Luther reiste selber umher und wollte mit der Macht des Wortes
wie einst bei den Invokavitpredigten (1522) den Aufruhr bändigen, erlebte aber, daß er
niedergeschrieen wurde. So schrieb er seine »Ermahnung zum Frieden« 1525. Hier betonte
er erneut: »Oberkeit soll nicht wehren, was jedermann lehren und glauben will, es
sei Evangelion oder Lügen. Ist genug, daß sie Aufruhr und Unfriede zu lehren wehret«
(WA 18, 298). Allerdings haben Müntzer und seine Gefolgsleute diesen Unterschied selber
nicht gemacht, ja gar nicht machen können, denn die Gewalt gehört ja unauflöslich
zu ihrem Programm.
Mit der Schlacht von Frankenhausen war die Müntzerische, aggressive Sekte nicht erledigt
. Linter der Asche glomm die Glut weiter. Sie wurde zur Flamme in Münster, 1534.
Das Programm: »Ausrottung der Gottlosen« wurde hier in Münster tausendfach praktiziert
. Neben der reichsrechtlich verbotenen Wiedertaufe wurde auch die Polygamie eingeführt
unter Berufung auf die Patriarchen und Könige des Alten Testaments. Es gibt im
Deutschen Taschenbuch-Verlag (dtv) eine wohlfeile Dokumentation über das »Täuferreich
zu Münster« (München 1974). Anhand dieser verbürgten Zeugnisse kann sich jedermann
ein Bild machen über die Konsequenzen des Müntzerischen Programms.
Mit der Hinrichtung der überlebenden Rädelsführer war die Täufersache keineswegs
zu Ende gebracht. Aber die Katastrophe von Münster führte doch zur Selbstreinigung.
Das revolutionäre Element wurde ausgeschieden. Es ist das Verdienst von Menno Simons
, eines ehemaligen Priesters, diese Scheidung vollzogen zu haben. Seine Anhänger,
die Mennoniten, die es heute noch gibt in der Pfalz, in Rußland, in Amerika, wurden
stille und zurückgezogene fleißige Leute, die vor allem auf dem Gebiet der Landwirtschaft
Außerordentliches geleistet haben. So sehr Luther die Münstersche Rotte als Teufelswerk
abgelehnt hat, so sehr hat er dem geläuterten Täufertum Toleranz gewährt wissen
wollen. Allerdings ging diese Toleranz nicht so weit, daß auch öffentliche Kultusfreiheit
damit gemeint war. Dafür war die Zeit noch nicht reif. Sie wurde erst in Artikel 16
der Bundesakte von 1814 in Deutschland möglich. Vorher war die Kultusfreiheit Sache
der Obrigkeit. Sie hatte zu bestimmen, welche Religion im »Lande« statthaft war. Da es
aber Hunderte von Obrigkeiten in Deutschland gab, bestand so die Möglichkeit der
Emigration ins Nachbargebiet, wenn einer mit der in seinem »Stand« eingeführten Religion
nicht einverstanden war.
Luther hat diesen verfassungsrechtlichen Zustand des Reiches respektiert, auch zu Lasten
der evangelischen Sache. Die konfessionelle Einheitlichkeit eines Landes, ja sogar
der Einzelgemeinde, war ihm selbstverständlich. So kommt er zu der Anordnung: »Meine
Lutherischen sollen auch selbst gerne abtreten und schweigen, wo sie merkten, daß
man sie nicht gerne höret.« Gibt es Streit, so soll die Obrigkeit entscheiden: »Und welches
Teil nicht bestehet mit der Schrift, dem gebiete man das Stillschweigen... Denn es ist
nicht gut, daß man in einer Pfarr oder Kirchspiel widerwärtige Predigt ins Volk läßt gehen
. Denn es entspringen daraus Rotten, Unfried, Haß und Neid auch in anderen, weltlichen
Sachen« (WA 31 I, 209). Unter Respektierung des jus reformandi (Recht zu refor-
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