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sehen Aggressionen abgelehnt wurde. Die Christen haben unter muselmanischer Herrschaft
Unsägliches in Jahrhunderten gelitten. Orthodoxe und Armenier werden auch
heute noch bedrängt. Die Armenier sind weithin in den »Untergrund« gegangen und
verüben mit den Methoden des modernen Terrors spektakuläre Attentate. Diese sind
christlich nicht zu rechtfertigen. Sie bedeuten aber den Aufschrei seit Jahrhunderten Gequälter
und stellen eine Mahnung an die Machthaber dar, der Toleranz Wirkung zu verschaffen
, wie es ja auch die Uno-Charta verlangt.
Es ist gar keine Frage, daß die Toleranzforderung der Reformation meilenweit verschieden
von der Toleranz der Skepsis ist. Diese meldet sich bereits im Humanismus des
16. Jahrhunderts. Bei Erasmus ist diese Skepsis unbestreitbar vorhanden. Luther hat das
sofort herausgespürt. Er hielt ihm entgegen: Spiritus sanetus non est seepticus: Der Hl.
Geist ist kein Skeptiker. Auch bei den deutschen Spiritualisten Sebastian Frank und
Hans Denk ist diese Skepsis vorhanden. Sie liegt auch bei Spinzoa vor. Er verdankt der
Toleranz der Niederländer sein Uberleben. Denn hier wurden die spanischen Juden, die
die Gegenreformation vor die Alternative stellte, Taufe oder Tod, aufgenommen. Da
sein Pantheismus mit biblischer Religion nicht zu vereinbaren war, stellte er sich auch
außerhalb des Judentums. Das schwächte seine Toleranzforderung. Auch Lessings Toleranzproblem
, das er im »Nathan« entrollt, ist von der Skepsis angefressen. »Der echte
Ring«, die Urreligion der Aufklärung, »vermutlich ging verloren«. So sollen Christentum
, Judentum und Islam gegenseitig wetteifern im Guten. Der Glaube erscheint als
Theorie, der nicht zu trauen ist. Deshalb der Aufruf zur Praxis, zur guten Tat. Da das
Glauben unsicher ist, muß man seine Zuflucht zur Praxis nehmen, deren Auswirkungen
man übersehen kann. Das ist die Toleranz der Moderne, aus der Skepsis geboren, von der
Toleranz der Reformation in der Begründung himmelweit geschieden.
Zum Schluß ein Wort zur Haltung Luthers gegen die Juden. Der junge Luther verhielt
sich ihnen gegenüber wohlwollend. Man darf annehmen, daß er beim Streit Reuchlins
gegen die Dominikaner wegen der jüdischen Schriften (Talmud, Kabbala) auf Seiten der
Humanisten stand. Nun erhielt Luther vom Fürsten Johann von Anhalt die Mitteilung,
Ferdinand, der Bruder des Kaisers, verbreite die Behauptung, Luther lehne die jungfräuliche
Geburt Jesu ab. Er bezichtigte ihn damit der Ketzerei des Helvidius (um 384 in
Rom). Das war für Luthers Anliegen äußerst gefährlich. Nun schrieb Luther 1523 »Daß
Jesus Christus ein geborener Jude sei« (WA 11, 314-336). Luther sandte die Druckschrift
an den Judenchristen Bernhard mit einem Begleitbrief. Er will darin »säuberlich mit den
Juden umgehen, ob er vielleicht etliche möchte zum Christusglauben reizen«. Er wirft
der alten Kirche vor, sie habe mit den Juden gehandelt, als wären es Hunde und nicht
Menschen. Wenn die Apostel, die auch Juden waren, so mit den Heiden umgegangen
wären, wäre bis heute keiner von ihnen Christ geworden. Die jungfräuliche Geburt Jesu
beruht auf Jesaja 7,14. »Alma« bedeute auch in 1. Mose 24,43 und 2. Mose 2,8 »Jungfrau
« und nicht »junge Frau«. Das Neue Testament nimmt Jesaja 7,14 auf. Daneben verfolgt
die Schrift das Ziel, die Messianität Jesu zu erweisen anhand von alttestamentlichen
Stellen, vor allem der Schiloh-Weissagung von 1. Mose 49. Nebenbei tut Luther die Legenden
, daß Juden Christenblut haben müßten, um »nicht zu stinken«, als »Narrenwerk
« ab. Die Juden, seit Jahrhunderten mit Arbeitsverboten belegt, durften kein Gewerbe
ausüben, so hat man sie dem »Wucher«, d. h. der Geldleihe gegen Zins in die Arme
getrieben. Luther will sich zunächst auf diese Fragen beschränken, aus pädagogischen
Gründen, später müsse neben der Menschheit Jesu auch seine Gottheit behandelt
werden. Jetzt müsse er erst mal Milch anbieten, später auch den Wein. Luther ist sich
klar darüber, daß nur wenige sein Angebot annehmen werden: »Ob etliche halsstarrig
sind, was liegt daran, sind wir doch auch nicht alle gute Christen« (s. oben S. 336).
Doch erfüllte sich Luthers Hoffnung, daß nun mit dem erneuerten Evangelium eine
Bekehrung Israels sich anbahne, nicht. Im Gegenteil, er erhielt Nachricht, daß in Mähren
, in den Gebieten des Grafen Schlick, Christen zum Judentum übergetreten seien,
sich hatten beschneiden lassen und nun den Sabbat feierten anstelle des christlichen
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