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Das Markgräflerland: Beiträge zu seiner Geschichte und Kultur
45.1983, Heft 2.1983
Seite: 158
(PDF, 39 MB)
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rungen erklärt !. Man kann nur hoffen, daß sich die nach dem Kriege zwischen Italien
und Österreich getroffene, die Menschenrechte in den Vordergrund stellende Lösung
(das sogen. De-Gasperi-Gruber-Abkommen) mindestens für Europa als das Vorbild erweisen
wird, an dem künftige Lösungen der Sprachprobleme von Minderheiten zu messen
sein werden. Eine andere Einstellung in diesen Fragen wäre in einem werdenden vereinten
Europa ein Anachronismus und, weil autoritär, minderheitenfeindlich und gegen
die Menschenrechte verstoßend, im Grunde nicht mehr denkbar. Die heute von »tout
Paris« noch vertretene Auffassung ist ein Relikt aus dem 19. und früheren Jahrhunderten
. Eine Änderung einer so »geheiligten« Tradition ist nicht schnell zu erwarten. Aber
ihren Ursprung gilt es offenzulegen, damit vor allem in Frankreich - und auch bei uns -
die historische Funktion des Problems, die es in einer echten Demokratie längst verloren
haben müßte, offengelegt, erkannt und freundschaftlich diskutiert werden kann.

Wir sprachen oben von freiwilliger Selbstzensur in diesen Dingen. Uns selbst möchten
wir das nicht nachsagen lassen, deshalb wollen wir zwei Regionen nennen, wo unser
Problem im geschilderten Sinn heute noch virulent ist und Leerlauf mit großen Worten,
Streit und Kosten zur Folge hat. Die eine ist Belgien, wo der Sprachenstreit zwischen
Wallonen und Flamen im Grunde nichts anderes ist als das Erbe des kulturellen Uberle-
genheitsanspruchs der französischen Sprache, von deren historischen Rolle oben die Rede
war. Im Zeitalter der Industrialisierung hat man z.T. der Sprache wegen einseitig in
Wallonien investiert, deren Mängel und strukturelle Folgen sich heute hier zeigen. Und
in den Augen der Wallonen ist eben Flämisch keine Hochsprache, sondern eine An Bauernsprache
, woraus die Wallonen den in ihrem Sinne logischen Schluß ziehen, daß ihre
Sprache die der Intellektuellen sei und gegenüber dem Flämischen den Vorrang zu beanspruchen
habe.

Die andere Region ist der nördliche französischsprachige Jura in unserer Nachbarschaft
. Hier kommt zur Sprachenfolge die konfessionelle Verschiedenheit zur großen
Mehrheit des Kantons Bern hinzu. Zweifellos im Vordergrund steht jedoch die Einstellung
einer Gruppe französischer Hochsprachler. Deren Chefideologe, Roland Beguelin,
hat in einem Interview des Schweizer Fernsehens seine Motive deutlich, wenn auch nicht
direkt, genannt. Sie sind diktiert von der Obsession des französischen Hochsprachlers,
in einem Kanton leben zu müssen, dessen große Mehrheit, ihre Repräsentanten und Beamten
nicht nur keine Hochsprache (die man lernen könnte), sondern einen in seinen
Augen groben Bauerndialekt spricht. Die Welschen mögen sich manchmal zu Recht darüber
ärgern, daß der sprachliche Proporz in Bundes-Personalfragen oder in Drucksachen
nicht eingehalten wird. Es war aber von jeher so, daß zwar die Deutsch-Schweizer
bereit waren, mehrere Sprachen zu lernen, umgekehrt aber Welsche nach einem Jahr Zürich
-Aufenhalt mit 12 deutschen Wörtern geglänzt haben. Es ist keine Preisfrage, wer
bei solcher Einstellung die größeren Chancen hat, in hohe Positionen der Wirtschaft des
welschen Landesteils zu gelangen. Zum Glück für beide Teile hat der Außenstehende
den Eindruck, daß sich das allmählich deutlich ändert.

Man kann beide Seiten verstehen, deshalb ist weniger das Problem als solches ärgerlich
. Man kann nicht verlangen, daß sich die Betroffenen über die historischen Hintergründe
im klaren sind. Ärgerlich ist die Scheu, die Frage mitsamt ihren absolutistischen,
autoritären, nationalistischen und chauvinistischen Hintergründen, die heute mehr oder
weniger der Vergangenheit angehören, überhaupt anzusprechen. Auch die Scheu der
deutsch-schweizerischen Presse, das Problem offen zu behandeln, ist einerseits begreiflich
, der mangelnde Mut und die Selbstzensur, mit denen man es beschweigt, ist ärgerlich
, weil sie keiner offenen Lösung dienen, sondern den Muff überständiger Ressentiments
(wohl auf beiden Seiten) weiter schwelen lassen.

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