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Das Markgräflerland: Beiträge zu seiner Geschichte und Kultur
46.1984, Heft 1.1984
Seite: 14
(PDF, 35 MB)
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gleichen Zeitraums seine Tagebuchblätter Leiden an Deutschland niederschreibt. Stets
aber hält Schickele, seinem unbestechlichen Gewissen verpflichtet, an seinem abwägenden
Gerechtigkeitssinn fest, der es ihm unmöglich macht, in einer, Ungerechtigkeit implizierenden
Weise »parteilich« zu sein. »Partei ergreifen, das ist leicht. Keiner ergreift
so gern Partei wie der Leichtsinnige, dem es nur darum geht, einen äußeren Halt zu finden
. Es kommt aber darauf an, daß es die eigene, undiskutierbare Partei ist, die man ergreift
, und daß die äußere Wahrheit, wozu man sich bekennt, nicht die innere, langsam
und oft genug verschlungen wachsende, und wäre es durch Übereile, schändet.« So
schreibt er Ende Mai 1937 an Thomas Mann nach dessen Rückkehr von einer Vortragsreise
durch die Vereinigten Staaten, um damit dessen persönlichen »Fall« zu charakterisieren
.68' Doch es trifft in besonderer Weise ihn selbst. Es bestimmt nicht zuletzt Schik-
keles Haltung gegenüber dem Kommunismus, mit der er sich, seit seinen leidenschaftlichen
Passagen über Lenin, Kautsky und die Formel von der »Diktatur des Proletariats«
in seiner Revolutionsschrift Der neunte November, immer auseinandergesetzt hat.
Fühlt er sich doch hierzu als freier, »utopischer« Sozialist immer wieder herausgefordert
, nicht zuletzt in den Jahren des Exils, als die fast gleichzeitig beginnenden »Säuberungen
« der Stalin-Ära die Grenzen der antifaschistischen Gemeinsamkeit deutlich machen
. Am klarsten hat Schickele seinen eigenen Standpunkt in einem Brief an Harry Graf
Keßler ausgesprochen, wobei er zugleich der unterschiedslosen Gleichsetzung von Faschismus
und Kommunismus eine Absage erteilt:69'

»... Da aber der totale kommunistische Staat für mich {wenn auch schweren Herzens)
so unannehmbar ist wie der faschistische, muß ich allein bleiben - übrigens mit vielen anderen
(und nicht den schlechtesten), denen ihr Gewissen ebenfalls verbietet, sich einer
Sache zu verschreiben, die für sie entweder (wie die faschistische) in Ziel und Methode
oder (wie die kommunistische) zwar nicht im Ziel, aber in der Methode eine
seelengefährdende Irrlehre darstellt. Ich glaube nun einmal nicht, daß der Zweck die
Mittel heiligt!«

So sehr aber Schickele immer wieder seine Stellung als »unabhängiger Freischärler«
betont, am Ende seines mit 56 Jahren jäh erlöschenden Lebens wird er doch noch, im
Einklang mit seinem Gewissen, ein bewußter »Konformist«: als Anhänger und Gefolgsmann
eines - allerdings menschheithch verstandenen übernationalen und überparteilichen
- »Lagers«. Einige Monate nach dem Ausbruch des zweiten Weltkriegs spricht er
dieses Bekenntnis in seinem letzten Brief an Thomas Mann aus. Damit formuliert er
selbst, angesichts einer durch den aggressiven Faschismus völlig veränderten politischen
Konstellation und Gewissenslage, den in dieser Stunde notwendigen Abschied von seinem
lebenslang tapfer verfochtenen Pazifismus; aus denselben sittlichen Antrieben heraus
, die seine Kriegsgegnerschaft, seine Nicht-Parteinahme im Bruderkrieg 1914-1918
bestimmt hatten. Hitler und das vom Nazismus überwältigte Deutschland haben dem
»Hans im Schnakenloch« sein Schwanken aus verwandtschaftsbewußter Zerrissenheit
endgültig ausgetrieben.

So heißt es nun in dem genannten Brief an Thomas Mann, den Schickele am 18.1.1940,
wenige Tage vor seinem Tode, schreibt:70^

«... eben lese ich Ihre Botschaft an den Sozialdemokratischen Bund in New York, und
ein drückender Zweifel fällt mir vom Herzen! Ja, nun sind die beiden Teufel demaskiert.
... Die Welt teilt sich in zwei Lager, und das ist gut. Sie werden immer deutlicher, immer
kräftiger hervortreten, und da es nicht mehr zu leben lohnte, wenn der Ungeist siegte, so
mag es denn der furchtbare Kampf auf Tod und Leben werden über alle Begriffe hinaus,
die wir uns bisher von derartigen historischen Entscheidungskämpfen zu machen pflegten
. Der Kampf wird extra muros et intra auszufechten sein. Es ist der Welt-Bürgerkrieg.
Ich will lieber völlig unterliegen, als nur mit halbem Herzen bei einer Partei zu sein, mit
geteilten Gefühlen ihrem Sieg beizuwohnen, zur Feier eine Fahne aufzuziehn, die für
mein innerstes Empfinden auf der Masthälfte stecken bliebe. Zum ersten Mal in meinem
Leben bin ich Konformist und fühle mich ganz und gar auf der rechten Seite. Ich bin

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