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deutsch-französische Sprachgrenze - weder im Süden des Elsaß noch in Lothringen. Seit
alters her sprachen die Menschen dieser »Burgundischen Pforte« (in unserem oberelsäs-
sischen Dialekt, s'Beferter Loch) französisch und eine romanische Mundart. Die Grenze
zwischen den zwei Sprachen erstreckt sich etwa von Valdieu bis nach Romagny. Durch
diese Aufteilung der alten territorialen Herrschaft kamen zehn Ortschaften, wo nur
französisch gesprochen wurde, an Deutschland: Unter ihnen befand sich Montreux -
Vieux, umgetauft Altmünsterol.
Dieser kleine, an der Bahnlinie Mulhouse-Belfort und am Rhein-Rhöne-Kanal gelegene
Flecken wurde zum Grenzposten zwischen Frankreich und Deutschland. Zu den einheimischen
Bauern und Handwerkern - etwa 300 an der Zahl - kamen Zoll-, Post- und
Eisenbahnbeamte hinzu, teilweise aus dem Elsaß stammend. Unter ihnen befand sich
der junge Jacques-Antoine Schickele aus Mutzig, der als Stationsassistent wirkte und so
die Bekanntschaft der Familie Ferard machte. Madame Henri Ferard, geborene Sophie
Patat aus Montreux-Vieux, war nach dem Tode ihre Gatten (1853), der als Volksschullehrer
in Fontaine angestellt gewesen war, mit ihren noch kleinen Kindern in ihren Geburtsort
zurückgekehrt. Ihr Sohn, Joseph Ferard, wurde Bahnangestellter in Altmünsterol
, machte am Arbeitsplatz die Bekanntschaft Schickeies und so ergab sich die Vermählung
seiner Schwester Marie Elisabeth mit Jacques Antoine Schickele am 27. Juli
1874.
Diese Tatsachen hatten wir vermutet, da der geschichtliche Hintergrund im Elsaß - im
Oberelsaß besonders - wohl bekannt ist. Die Belege zu ihrer Bestätigung konnten wir
leider nicht beibringen. Eine kürzlich erschienene Studie gibt darüber klare, eingehende
Aufklärungen, deren Wert hoch eingeschätzt werden sollte.10^
Die hier beigesteuerte Arbeit möchte jedoch hinzufügen, daß, obwohl die beiden Eltern
im französischen Elsaß, also als französische Staatsbürger, geboren wurden, die Tatsache
ihrer »Anderssprachigkeit« auf den Knaben Rene Schickele eine besondere Einwirkung
hatte.
Die Vorfahren dieser nur französischsprechenden Mutter lebten in einigen Dörfern
der Burgundischen Pforte. Es handelte sich um Montreux- Vieux, Foussemagne und Fontaine
. Rein französische Familiennamen kommen zum Vorschein: neben Ferard und Pa-
tat die Devillard, Jacquemoux, Mercelot, Pepion, Charbonnier und Demeriere sowie die
Bourquard, in der seit anfangs des 18. Jahrhunderts gebräuchlichen französischen
Schreibung für Burckhard. Diese Ahnen scheinen als Landwirte, manchmal als Grundbesitzer
, in diesem Landstrich eingewurzelt. Die Kirchenbücher jedoch gehen nicht weit
in die Vergangenheit zurück. Für nur einige Vorfahren ist die Möglichkeit gegeben, ihr
Geburtsdatum auszurechnen, welches anfangs des 18. Jahrhunderts liegt. Wie die Familiennamen
, so sind auch die Vornamen französisch: Jean Pierre, Antoine, Barbe, Jeanne,
Franqoise. Sie erscheinen deutlich in den Unterschriften, die niemals gothische Schriftzüge
gebrauchen, wie sie in den Kirchenbüchern des übrigen Elsaß noch an der Schwelle
des 19. Jahrhunderts oft vorkommen.
Da es beschwerlich gewesen wäre, die Notariatsurkunden hinzuzuziehen, können wir
leider nichts Genaueres über diese Familien berichten. Eines nur: Die Familie Patat gehört
während des 18. Jahrhunderts zu den angesehenen von Montreux-Vieux. Sie stellte
oft Bürgermeister und Gemeinderatsmitglieder und stand im Jahr 1790 auf der Liste der
Notabein, also der meistbesteuerten Bürger.
Zur Sprache dieser Ahnen, also zur »Muttersprache« im eigentlichsten Sinne, kam der
Dichter am Ende seines Lebens zurück mit seinem Buch »Le retour«, welches als »die
Rückkehr zur Mutter« bezeichnet wurde1
»Die Vorfahren des Dichters diesseits und jenseits des Rheines« überschrieben wir
diese kurze Studie. Sie ergibt eine größere Ahnendichte für das Elsaß, also »diesseits« für
uns Elsässer, eine menschliche Wirklichkeit jedoch für das rechte Rheinufer, dank der
Auswanderung des jungen Daniel Schickeli, der hinter sich den Ursprung der väterlichen
Ahnenreihe zurückließ. Sein berühmtester Nachkomme wurde wieder in dieser
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