http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/mgl-1984-01/0042
In der »Anwort« zeichnete Carl Friedrich sein Bild, wie er sich sah und wie ihn die
Menschen sehen sollten. Wie schon oben angedeutet, mied er die Bezeichnung »Untertan
« ; ihm waren Menschen wichtiger. Die »Antwort« ist aber auch gleichsam ein Schlaglicht
auf die langen, mühseligen Jahre der Reformen und die kommenden Jahre des Ausbaus
der erreichten Befreiung des Menschen. Carl Friedrich ließ nie einen Zweifel daran,
daß ihm die Abschaffung der Leibeigenschaft die wichtigste seiner Regierungshandlungen
war.
Es steht außer Zweifel, daß einem Menschen von der Lebensart Carl Friedrichs mit
der geschilderten Einstellung gegenüber dem Mitmenschen das Leid anderer, sei es verschuldet
oder unverschuldet, zu Herzen ging. So schaffte Carl Friedrich im Jahr 1767
mit einem Federstrich die Folter ab. Dies war, wie die Aufhebung der Leibeigenschaft,
ein Meilenstein auf dem Weg zur Freiheit des Menschen.
Gerade diese Meilensteine, die der Großvater Roggenburgers unter seinem Großherzog
Carl Friedrich erlebt hatte, waren es, die er seinem Enkel in dessen frühester Jugend
mit auf den Weg gegeben hat.
Ein weiterer Meilenstein auf dem Weg zur Freiheit und Selbstbestimmung des Menschen
muß hier noch genannt werden; die Badische Verfassung, die noch unter Carl
Friedrich dem Großherzogtum Baden im Jahr 1818 gegeben wurde. Sie wurde als die
»erste echt freiheitliche konstitutionelle Verfassung« eines deutschen Bundesstaates bezeichnet
. Vorgesehen waren zwei getrennte Kammern, die sich aus den Ständen rekrutierten
.
Die Erste Badische Kammer wurde vom Adel gebildet, die Zweite Badische Kammer
setzte sich aus gewählten Abgeordneten zuammen.
Bei Friedrich Wielandt finden sich hierzu folgende Bestimmungen:
»Zusammensetzung der Ersten Kammer:
1. ) Mitglieder aufgrund ihrer adeligen Geburt
2. ) Mitglieder kraft ihres Amtes (die höchsten Geistlichen der beiden Konfessionen)
3. ) gewählte Mitglieder
a. ) Acht Abgeordnete aus dem grundherrlichen Adel
b. ) Zwei Abgeordnete aus den Landesuniversitäten Heidelberg und Freiburg
4. ) Weitere acht Mitglieder, die vom Großherzog persönlich ernannt werden.
Zusammensetzung der Zweiten Kammer:
Die Zweite Kammer besteht aus 63 Abgeordneten der »Städte und Ämter«. Sie werden
in 56 Wahlbezirken von gewählten Wahlmännern gewählt. Wählbar sind alle badischen
männlichen Staatsbürger, die das 30. Lebensjahr vollendet haben.«15)
Zu den letzteren gehörte auch Pfarrer Karl Zittel, der auch großen Einfluß auf die Entwicklung
Roggenburgers gehabt hat.
Diese Entwicklungen im jungen Großherzogtum wurden dem Knaben Roggenburger
von seinem politisch interessierten Großvater vermittelt und nahe gebracht. Wie wir
weiter sehen werden, ist es nicht verwunderlich, daß Roggenburger auf seinem gesamten
Lebensweg für solche Dinge offen war.
c) Einfluß der Brüder Zittel
In einem anläßlich des Todes von Roggenburger verfaßten Lebenslauf findet sich folgende
Bemerkung:
»Tief griff in seine Entwicklung der Privatunterricht, welchen er von dem damaligen Vikar
Zittel genoß. Durch denselben wurde der Grund gelegt zu einer praktisch gerichteten
nüchternen Frömmigkeit, die ihn durchs Leben begleitete. «16)
Daß sich dieser Privatunterricht nicht nur auf Katechismus und Latein beschränkte,
wird klar, wenn man die Rolle der beiden Brüder Zittel in den 40er Jahren des 19. Jahrhunderts
betrachtet.
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