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Das Markgräflerland: Beiträge zu seiner Geschichte und Kultur
46.1984, Heft 1.1984
Seite: 154
(PDF, 35 MB)
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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/mgl-1984-01/0156
enthalt in dem Tälchen mit seinen Krachen und Tannen eitel Wonne, und da lebte statt
Hebel Jeremias Gotthelf; ich bekam die »Schwarze Spinne« in die Hand und las sie mit
fasziniertem Grauen. Man zeigte mir auch den Balken mit dem Zapfen, der sie einsperrte
: ich wagte nicht, ihn zu berühren. Aber ich bekam auch den Kilterschmuck hablicher
Bauerntöchter zu sehen, den Gotthelf so oft preist, und nicht nur am Sonntag von weitem
, sondern im Nebenstübchen eines großen Bauernhofs. Unter dem Schindel und
Moosdach durfte ich die schönen Stücke eins ums andere in die Hand nehmen. Unter einem
solchen Dach, aber in einer entlegenen Oberstube, zeigte mir auch der Haussohn,
der Medizin studierte, ein menschliches Gehirn, das er zu präparieren hatte. Es war
wahrhaftig nicht eintönig in dem stillen Dörflein.

Aber viel glänzender war dann allerdings der zweite Ferienort: das war ein kleines adeliges
Schlößlein bei Solothurn, wo eine jüngere Schwester meiner Mutter die Herrin war.
Den Onkel, der sie dahin geführt hatte, kannte ich noch; er war uns von allen Schwägern
der Mutter der verehrteste, weil seine Weihnachtsgeschenke immer weitaus die herrlichsten
waren. Ihn an einem Festtag, wo wir uns beim Großvater versammelten, mit seiner
schönen jungen Frau am Bahnhof abzuholen und zum Großvater zu begleiten, war der
Gipfel der Ehre. Er ist aber früh gestorben; eingelebt hab ich mich in seinem Haus erst,
als er nicht mehr da war, sondern nur sein Hauptmannkäppi und sein Schleppsäbel.
Während seine Brüder Obersten wurden, einer sogar Divisionär, mußte er schon im
Hauptmannsalter zum letzten Appell antreten. Sie waren die Neffen vom Landammann
Vigier, einem der großen solothurnischen freisinnigen Führer; von ihrem Adelstitel
machten sie damals keinen Gebrauch mehr, und die Luft war auch im verwaisten Schlößchen
des Onkels ausgesprochen politisch geblieben; das habe ich früh empfunden. Dieses
Schlößlein, im 17. Jahrhundert oder im beginnenden 18. Jahrhundert gebaut, war
aber oben doch von zwei stattlichen Türmen flankiert, und es zogen sich ein Bach und
ein breiter Graben darum, und die Familie gehörte zu den großen solothurnischen Geschlechtern
. In meiner Jugend war das Haus noch ein wenig verwahrlost: der Hausherr
hatte sich mit der Einführung der Zementfabrikation geplagt; die hatte er nicht leicht
durchgesetzt, und wenn er auch sein Ziel noch zu erreichen vermocht hatte, so stand
doch das Ringen um seinen beruflichen Erfolg im Vordergrund, und die Verschönerung
seines Hauses mußte warten. Der hübsche Erdgeschoßsaal, der später mit seinen alten
Porträts so wohnlich geworden ist, war noch nackt, mit Kalkwänden, die lebhaft grün
gefärbt waren, und es stand allerlei Gerät und lange auch noch Gerümpel darin; umso
herrlicher für den Buben, der die »große Stube« zu Hause hatte und da erst noch in die
Turmräume eindringen konnte, ohne daß dann gleich Schaden entstand. Ums Herrenhaus
wohnten in stattlichen Höfen die Lehensleute, aber da stand auch der Stall mit den
Wagenpferden, und ein Lehenmann hatte gar einen Esel, mit dem man die Milch in die
Käserei bringen durfte und der auch etwa einen Ritt nicht übelnahm. So schön wie der,
der mich ein- oder zweimal auf dem Ebenrain bei Sissach auf einem purpurenen Sattel
mit Schabracke gezogen hatte, war er freilich nicht, aber viel vertrauter und hatte darum
meine ganze Liebe. Die mußte er freilich mit Uli, dem Kutscher, teilen, einem grundguten
, nicht gar klugen älteren und mageren Männlein, das immer an der Station war mit
seinem Kütschlein, wenn man ankam, einem auf dem Bock duldete und über alles Auskunft
gab, was man wissen wollte. Im Büro der Fabrik roch es so anders als daheim, und
die Zementproben in ihrer merkwürdigen Achter-Form wurden so merkwürdig rasch
starr und fest, und man wußte nicht, was mit ihnen anfangen, wenn einem eine alte überlassen
wurde. Da war Anziehung und innerer Widerstand; als mir später die Tante sagte,
wenn ich fleißig technische Chemie studieren wolle, so könne ich einmal in der Fabrik
Verwendung finden, so kämpften die beiden Empfindungen lange in mir, bis der Widerstand
, unterstützt von einer anderen Erwägung, siegte. Die Tante nahm das nicht leicht,
denn sie war mir herzlich zugetan, und auch mir gibt es immer noch einen Stich, wenn
ich an dem alten Bureau, das längst ausgedient hat, wieder vorbeigehe. Die Tante aber
und ihre Töchter, beide ein paar Jahre jünger als ich, erhielten mir ihr Wohlwollen trotz-

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