http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/mgl-1984-02/0150
Adolf Kußmaul -
Mediziner, Schriftsteller, Dichter
von Helmut Bender
Seine Verdienste in der Medizin sind bleibend und werden auch heute noch von der
Medizingeschichte voll anerkannt. Seine Verdienste als Schriftsteller sind beachtlich,
und ganz zurecht erscheint parallel innerhalb der »Badischen Reihe« (als Band 14) eine
Auswahl seiner »Jugenderinnerungen« unter dem Titel »Aus den Jugenderinnerungen
eines alten Arztes«. Seine Meriten als Dichter aber sind großteils vergessen bzw. vom bekannteren
Ludwig Eichrodt gewissermaßen absorbiert worden.
Gute 80 Jahre nach Kußmauls Tod und 160 Jahre nach seiner Geburt scheint es uns
schon wegen seines zeitweiligen Wirkens im badischen Oberland, vornehmlich in Rändern
, dringend geboten, ihn und sein vielfältiges Wirken wieder einmal zu vergegenwärtigen
. Geben wir so zunächst einen knappen Lebensabriß, bevor wir aus seinen Erinnerungen
und auch aus seiner Poetenstube einiges zitieren und kommentieren. Daß wir
den Fachmediziner (Magendiagnostik, Säuglingspsychologie, Rußmaul-Atmung als
Diabetiker-Symptom) weitgehend ausklammern, versteht sich von selbst, ohne daß wir
der Medizingeschichte einen bedeutenden kulturgeschichtlichen Anteil absprechen
wollten.
Am 22. Februar 1822 wurde er als Arztsohn in Graben im Nordbadischen geboren.
Kindheit und Jugend verbrachte er verschiedenenorts (vgl. u.), und ab 1840 studierte er
Medizin in Heidelberg, wo er auch in freundschaftliche Beziehung zu Ludwig Eichrodt
trat. Nach bestandenen Examina und Wanderjahren im Bayrischen, in Wien und Prag
wurde er als Militärarzt nach Schleswig-Holstein kommandiert und danach nach Rastatt
befohlen; 1850 ließ er sich als Landarzt im oberbadischen Rändern nieder. Als er sich gesundheitlich
einer solchen Praxis nicht mehr gewachsen fühlte, habilitierte er sich 1855 in
Heidelberg. 1859 folgte er einem Ruf an die Universität Erlangen, 1863-78 wirkte er in
Freiburg und anschließend (bis 1888) in Straßburg, alsdann kehrte er nach Heidelberg
zurück, wo er am 27. Mai 1902 verstarb. Medizinisch arbeitete Rußmaul als Internist, er
beschäftigte sich vorzugsweise mit der Magendiagnostik, der Epilepsie und stellte auch
interessante Versuche - u. a. an seinem eigenen Rind - über psychologische Reaktionen
der Neugeborenen an.
Seine beiden autobiographischen Schriften - »Jugenderinnerungen eines alten Arztes
«, Stuttgart 1899 u. ö. sowie »Aus meiner Dozentenzeit in Heidelberg«, aus dem
Nachlaß 1903 u. ö. - zeichnen sich durch eingängig klare und sachliche Darstellung und
durch eine souverän-humorvolle Diktion aus. Rußmaul versteht es, Wesentliches und
Beispielhaftes aufschlußreich und attraktiv wiederzugeben, er ist so ein glänzender Erzähler
in eigener, aber auch in zeitgeschichtlicher Sache. Seine Schilderungen geben zugleich
wertvolle Beiträge zur Zeitgeschichte. In scheinbar lockerer Form und mit Geist
und Humor in einem gelingt es ihm, seine persönlichen Erlebnisse und seinen spezifischen
Werdegang mit dem breitgefächerten Hintergrund allgemeineren Geschehens zu
koppeln.
Im »Vorwort« seiner »Jugenderinnerungen« meldet sich bereits der Dichter Rußmaul
zu Wort:
Mußt du Gram im Herzen tragen
Und des Alters schwere Last,
Lade dir aus jungen Tagen
Die Erinnerung zu Gast.
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